laut.de-Kritik
Demokratische Eskalation: Die neue Band um Mike Patton.
Review von Magnus HesseDrei Alphatiere mit unterschiedlichem musikalischen Background basteln sich die Finger wund: Faith No Mores Mike Patton, TV On The Radios Tunde Adebimpe und Rapper Doseone sind die Nevermen, eine nach eigener Aussage demokratische Dreimannband. Dass nun Qualität multipliziert mit Qualität nicht immer zu noch mehr Qualität führen muss, haben Superbands häufiger bestätigt als widerlegt.
Nevermen sprechen viele musikalische Sprachen, nicht unbedingt selbstverständlich da den richtigen Mittelton zu treffen. Zum Glück geht es Patton und Co. von Vornherein aber nicht darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Kompromisse gibt es hier nicht.
Das hat zur Folge, dass sich drei Stimmgewalten um den Platz am Mikrofon reißen - jede Lücke wird mit Vocals gestopft. Überhaupt wird viel gestopft, gepitcht und jede Menge gepuncht. Die drei Tüftler lassen trippige Beatbiester von der Leine, Mutanten aus Hip-Hop, Alternative und viel Bindemasse dazwischen: Nicht das waghalsigste Experiment wird gescheut.
Sprechgesang, ein regelrechtes Sample- und Effekte-Massaker und Adebimpes softe Hooks verleihen jedem Song mehrere Gesichter, öffnen das Klangbild und setzen ganz verschiedene Reize - bis hin zur Reizüberflutung. Das Ohr will intuitiv erst mal ordnen. Schafft man es, sich dem zu entziehen, wird man regelrecht in einen Strudel gezogen.
Zum Verweilen bleibt kaum Zeit bei so viel ausgelebter Schaffenswut. Uptempo ohne Unterlass, sodass der Stressbarometer direkt mal in Big-Beat-Höhen ausschlägt. "Tough Towns" setzt der Hyperaktivität erstmals etwas entgegen mit amtlichem Reggae-Rhythmus und verhältnismäßig wenig Randnotizen.
Wäre das eine durchschnittliche Indie-Platte würde man zumindest stutzen bei so viel Offbeat-Affinität. Und wäre das keine Formation gestandener Musiker, sondern ein Newcomer-Trio, würde man ihnen den Mut hoch anrechnen, durchgängig Ideen zu ent- und wieder verwerfen, Songs einfach ihr komplettes Gewand wechseln zu lassen. Im Falle von Nevermen hat das weniger mit Mut als mit Unbekümmertheit zu tun.
Denn selten stellt ein Album deutlicher klar, dass es sich um nichts und niemanden schert. Und wenn man niemandem etwas beweisen muss, lässt sich auch befreit loslegen. Diese stilistische Sorglosigkeit springt einem aus jedem kruden Break, jedem bis zur Unkenntlichkeit verzogenen Synthiesound und jeder dazwischen gequetschten Rapeinlage entgegen. Einziges Kriterium: Es muss grooven, während Harmoniefolgen mehr ein Zufallsprodukt zusammengewürfelter Akkorde zu sein scheinen und Melodien unter der Vielzahl sich schachtelnder Vocals oft verschwinden und verschwimmen.
Anders dann "Hate On", das weniger hauruckartig gerät und sich über Orgel, Buschtrommel und TV On The Radio-typischem Kanon behutsam und mystisch hochschraubt. Das liebliche "Mr Mistake" fiept zwar auch wieder wie ein Flipperautomat, fluffige Akustikgitarre und die wattige Tunde-Hook entschärfen den Track aber.
In "Shellshot" gehen die drei unterschiedlichen Visionen dann vielleicht am besten ineinander auf. Dennoch dürften einzelne Stücke dieser Platte den wenigsten im Langzeitgedächtnis bleiben. Die verspulten Sounds, die die Nevermen zu einer Vision verschmelzen, dafür umso mehr.
6 Kommentare
Genau mein Ding, wirklich ein schönes Album, viel zu entdecken und fast grenzenlose Abwechslung: Toll.
Mir war die Songsammlung zu wirr einzig Mr Mistake fand ich annehmbar
Mr. Mistake lahmt mir zu sehr rum. Der Rest ist aber überraschend toll und kreativ. Gefällt mir dann bisher doch.
Wird mit jedem hören besser, finde vor allem Dark ear, shellshot und Non Babylon sehr stark. An sich ist das album in sich soch erstaunlich stimmig.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Die Platte trifft grad ziemlich meinen Nerv. Selbst Mr. Mistake gewinnt im Albumkontext dazu. Genial ist auch der düstere, urbane Vibe, der durch die schnellen, feuerartigen Raps von Doseone und Pattons Gitarre, die immer wieder hart reinprescht, genial unterstützt wird. Und dann erst diese Ballade am Ende. Geiles Album!