24 Kandidaten kämpften bei Raabs "Chefsache ESC" um 14 Tickets und boten den Zuschauern einen bunten Mix, der endlich wieder Mut macht.

Basel (mra) - Die Wahl des deutschen ESC Kandidaten ist in diesem Jahr "Chefsache". Dass Stefan Raab dieser Chef ist, wurde am Wochenende schon durch seine Redeanteile im Vergleich zu den restlichen Juroren klar, darunter Yvonne Catterfeld, deren Funktion in der Jury selbsterklärend ist, und Entertainer Elton (er hört ja auch Musik). Ihm gegenüber steht Moderatorin Barbara Schöneberger mit der Aufgabe, den Drahtseilakt zu meistern, das vollgeladene Program abzuarbeiten ohne dem Chef beim Schwadronieren ins Wort zu fallen.

Der Chef und seine Sidekicks

3.281 Bewerber*innen hatten sich für den Vorentscheid angemeldet, deren Sichtung Raab höchstpersönlich vorgenommen haben will. Genauer reingehört wurde dann in eine reduzierte Vorauswahl, bestehend aus 400 Teilnehmern. Die besten wurden zum privaten Vorspielen eingeladen, daraus wiederum 24 Acts ausgesucht. Zwölf davon traten bei der Eröffnungsshow am Freitag, an, die anderen zwölf am Folgetag. Jeweils sieben Kandidaten gelangten ins Halbfinale. Raabs Ziel ist, den ESC dann auch zu gewinnen, "sonst kann man es auch lassen". Gastjuror ist der deutsche Sänger und frühere ESC-Teilnehmer Max Mutzke, der die Show mit seinem eigenen ESC-Song eröffnet, mit dem er sich 2004 den achten Platz sicherte. Alle Kandidaten begleitet eine Live-Band bei ihren Songs.

Die Kandidaten der ersten Show

Den Auftakt macht die Düsseldorferin Julika mit einem Cover von Leona Lewis "Run". Publikum und Juroren sind gleichauf begeistert, Raab lässt sich zu dem Kompliment hinreißen, ihre Stimme nerve nicht in den hohen Tönen, und nutzt die Gelegenheit für einen Seitenhieb in Richtung Schöneberger. Mit einer Miene, als erkläre er dem einfachen Fußvolk Quantenphysik, attestiert er Julikas Stimme "einen zarten Schmelz an der oberen Kante der Frequenzleiste". Alles klar.

Als nächstes tritt Benjamin Braatz mit seiner Gitarre und dem selbstgeschriebenen Song "Breakfast" an. Diese Schiene fährt Braatz ziemlich gut. Der Hagener lehnt seinen Stil optisch als auch klanglich an die Siebzigerjahre an. Raabs Statement: "Der Song hatte Hand und Fuß, songschreiberisch gesehen."

Gar nicht mal so gut geht es dann mit der Schweizerin Fannie weiter. Dass die 42-Jährige locker und ein bisschen verrückt ist, zeigt sie dadurch, das ihr Song "Easy" mit einem beherzten "Fuck" anfängt. Sie verkörpert das, was man vor zehn Jahren noch "Powerfrau" genannt hätte, ihr Song ist Klischee-Deutschpop. Singen kann die Schweizerin, es ist das Drumherum, das nicht passt. Deshalb redet der Chef bei seiner Bewertung auch einfach mal ausschließlich über Sido.

Der 'singing Barista' Chase performt ein Cover von Adeles "Million Years Ago". Eignet sich gut, um seine zweifellos vorhandenen Gesangsskills zu zeigen. Chase singt sich zum Teil acapella die Seele aus dem Leib. Über den Fernseher kommt der erhoffte Wow-Moment aber nicht an. Mit einem Sing von Adele hat er sich auch eine undankbare Nummer herausgesucht. Im Studio gibt es allerdings Standing Ovations. Juror Mutzke ist begeistert.

Sängerin Enny Mae tritt mit Producer-Gespann Paradigm an und schwächelt, zum ersten Mal gibt es auch Kritik von der Jury.

Es folgt Jonathan Henrich, ein Pianist mit Einzelkind-Aura. Mystisch beleuchtet sitzt er am Flügel und quält sich durch beinahe gerappte Strophen, bevor er im Refrain sein Gesangstalent zeigt. Ein Anlass für Raab, minutenlang zu einer 'lustigen' Anekdote über sein Treffen mit Lang Lang auszuholen. Schöneberger holt ihn dann wieder zum Kandidaten zurück.

Die Mittelalter-Klamaukmetaller Feuerschwanz verwandeln "Dragostea Din Tei" in einen Metalsong samt Bühnenspektakel mit Feuer, Kettenhemd und Headbanging. Sie hätten, laut Raab, "großen Mut bewiesen, so 'nen Kacksong zu nehmen".

Die Stimme der Kandidatin Cage wird schon beim Einlaufen mit Beyoncé verglichen und ein möglicher zukünftiger Grammy in Aussicht gestellt. Strahlend in einem Wohnzimmersessel sitzend, performt sie "Wrong Places" von H.E.R.. Dafür erntet sie von der Jury nicht enden wollende Lobeshymnen. Ihr Einzug ins Halbfinale scheint gesetzt zu sein.

Surferboy Equa Tu performt seinen eigenen Track "Gaga" und ist dabei der Inbegriff von straight edge. In den Rap-Passagen schimmert der angehende Religionslehrer durch. Die volle kratzige Stimme im Chorus begeistert Jurorin Catterfeld, Elton freestylet seine Bewertung zu Equa Tus Melodie.

Dann kommt die größte Überraschung des Abends. Newcomerin Janine hat im Vorfeld keine eigene Musik veröffentlicht und stand noch nie auf einer Bühne. Sie verzaubert mit einem herrlich verträumten Cover von Elvis Presleys "Cant Help Falling In Love". Man merkt ihr die fehlende Erfahrung zwar an, Dynamik und Mikrofonhaltung sind nicht immer on Point. Aber gerade deswegen wirkt der Auftritt mit Gänsehautmomenten noch viel beeindruckender. Raab habe sie einen "Happy Birthday Mr. President" Moment-beschert.

Die Popband Cosby gibt in extravaganten Outfits einen Feuerzeug-Song zum Besten. Wie alle Bandauftritte beider Shows, kommt das professionell rüber.

Zum Abschluss gibt es eine weitere Überraschung: Das Wiener Geschwisterpaar Arbor und Tynna macht eigentlich effektgeladenen Gen-Z-Pop à la Nina Chuba. Bei ihrem Auftritt zeigt sich allerdings, dass die Effekte auf Tynnas Stimme in Studioaufnahmen zu einhundert Prozent eine stilistische Entscheidung sein müssen. Mit einem Cover von Adeles "Skyfall" führt sie dem Publikum ihr Gesangstalent und ihre einzigartige Stimmfarbe vor.

Dann zieht sich die Jury zurück und berät über die Entscheidung, wer weiterkommt. Die ist in der ersten Show wohl weniger Chefsache, als der Titel vermuten lässt. Raab überreicht Schöneberger mit missmutiger Miene die Liste der Halbfinalisten und betont, wie uneins die Juroren waren.

Im Halbfinale stehen:

  • Abor&Tynna
  • Benjamin Braatz
  • Julika
  • Cage
  • Feuerschwanz
  • Cosby
  • Jonathan Henrich

Am Ende des Abends kann man von einer gelungenen Sendung sprechen. Die Einschaltquoten belaufen sich auf durchschnittlich 2,14 Millionen Zuschauer, und die Teilnehmer liefern fast ausnahmslos ab. Mit dieser Bilanz können Raab und Co. entspannt auf den nächsten Tag blicken.

Zweiter Durchgang am Samstag

Im Schnitt 1,79 Millionen Zuschauer haben zum zweiten Durchgang zugeschaltet. Raab verletzt weiter fröhlich durch seine Redezeiten mit Grinsen im Gesicht die Gesprächsmaxime, ist völlig unbeeindruckt, wenn seine Ausschweifungen ins Leere führen, macht dabei aber tatsächlich Spaß. Den Riecher bei der Kandidatenwahl hat er auch schon bewiesen. Als Gastjuror fungiert diesmal Johannes Oerding.

Die Auftritte der zweiten Show

Adina macht mit dünner Stimme und einer poppigen Interpolation von Phil Collins' "In The Air Tonight" den Anfang, was keine so gute Idee war, Jury und Publikum gefällt es aber.

Jaln covert Teddy Swims' "Lose Control", wirkt dabei sympathisch nervös und zeigt seine soulige Stimme. Als sich dann in Prince-Manier eine E-Gitarre von der Bühnendecke abseilt, die Jaln sich für ein kleines Solo schnappt, sind alle überzeugt.

Leonora zeigt den vorhergegangenen Contendern, wie Bühnenpräsenz und Showmanship richtig gehen. Zu ihrem eigenen Song "Good Day" singt, tanzt und lächelt die Kölnerin auf der Bühne und nimmt diese dabei voll für sich ein. Das Jury-Urteil: Die kann man zum ESC schicken, ohne sich zu blamieren.

Undankbar, direkt danach aufzutreten, aber NI-KA meistert die Situation mit ihrem Neo-Soul dennoch sehr gut. Schade, dass sie mit einem Cover antritt. Mit Michael Jacksons "The Way You Make Me Feel" möchte sie wohl eher ihre beeindruckende, volle Stimme zeigen, anstatt ihren einzigartigen Stil. Hierfür hätte sie viele eigene Songs zur Auswahl gehabt.

Dann wird es laut. Das saarländische Metalensemble From Fall To Spring shreddert, schreit, kreischt und entfesselt dabei die Live-Energie einer eingespielten Band. Gott sei Dank mit Verzicht auf etwaige Rap-Passagen.

Schauspieler, Synchronsprecher und Sänger Noa Levi covert Shawn Mendes' "Theres Nothing Holding Me Back". Dem Songtitel widerspricht Jurorin Catterfeld, Levi sei von irgendetwas zurückgehalten worden. Die Elvis-Moves auf der Bühne und die in den Vordergrund tretenden Background-Vocals täuschen leider nicht über seine eher blasse Performance hinweg.

Die selbsternannte zukünftige Queer-Ikone Cloudy June singt mit in Teilen ungewollt zittriger Stimme ihren Song "Sad Girl Era". Von der Jury bekommt sie dafür Lob.

Das Straßenmusikerduo Parallel sind das ESC-Äquivalent zu Oscar Bait. Auf der Bühne beten sie das Mantra von Vielfalt und Multikulti-Repräsentation herunter. In ihrem dreisprachigen Song "Noi" singen sie davon, dass alle gleich wären und alles ein Geben und Nehmen sei. Musikalisch leider uninteressant.

Das Gegenteil davon ist Moss Kena. Der Mann ist eine Erscheinung. Sein alles durchdringender, kalter Blick lässt einen beinahe vor dem TV nervös werden. Mit Pelzmantel und Colgate-Lächeln performt er "Die With A Smile" von Lady Gaga und Bruno Mars. Lustig mitanzusehen, wie Raab bei dem Versuch, die Aura des Berliners einzufangen, mit Worten minutenlang im Nebel stochert. Dann fasst er prägnant zusammen, aus Moss Kenas Gesicht könne man einen Stempel machen.

Pech hat der danach auftretende Vincent Varus. Selbst mit seinem ansteckenden Lächeln wird er vom Vorgänger geschlagen. Ansonsten gibt es seichten Gutelaune-Pop mit seinem Song "Coffee".

Die britische Alternativeband The Great Leslie kommen in buntem, knappen Glamrock-Outfit auf die Bühne. Ihr Cover von Coldplays "Fix you" lässt Elton, der sonst nicht viel zu Wort kommt, in Begeisterung ausbrechen.

Das große Finale liefert TikTok Star Lyza. Vor 1,5 Millionen Followern singt sie dort regelmäßig. Auf der Bühne steht sie beim Vorentscheid aber tatsächlich zum ersten Mal. Merkt man ihr bei ihrer beeindruckenden Performance von Barbara Pravis "Violà" überhaupt nicht an. Selbstsicher und mit Stimmgewalt setzt sie als letzte Kandidatin ein Ausrufezeichen.

Raabs Jury zieht sich ein weiteres Mal zur Entscheidungsfindung zurück. Dieses Mal habe wohl Raab am Ende ein Machtwort gesprochen. Größter Aufreger ist, dass Soulsängerin NI-KA es nicht in die engere Auswahl schafft, stimmlich spielt sie ganz oben mit. Schade. Rückblickend bewahrheitet sich Raabs Aussage, es sei keine klassische Talentshow, bei der es technisch viel zu kritisieren gebe. Falsche Töne blieben eine Ausnahme, am Ende kommt es auf Geschmack und Gespür der Jury an.

Ins Halfinale ziehen ein:

  • From Fall To Spring:
  • Leonora
  • Cloudy June
  • Moss Kena
  • LYZA
  • The Great Leslie
  • Jaln

Fotos

Yvonne Catterfeld

Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: ) Yvonne Catterfeld,  | © BMG Music (Fotograf: )

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