Berlin feiert eine dunkle Rock'n'Roll-Messe und der verstorbene Lemmy stellt alle anderen Rock-Götter in den Schatten.
Berlin (mma) - Als "lautesten Stummfilm aller Zeiten" umschreibt der belgisch-schwedische Fotograf, Visual Artist und Regisseur Björn Tagemose seine "Gutterdämmerung", ein Mischkonzept aus Filmerlebnis, Rockkonzert und Arie. Allein die Filmbesetzung garantiert an diesem Premierenabend in einem Berliner Rock'n'Roll-Restaurant bereits ausverkauftes Haus: Iggy Pop, Slash, Grace Jones, Henry Rollins, Nina Hagen, Slayers Tom Araya, Josh Homme, Eagles Of Death Metals Jesse Hughes und Lemmy Kilmister haben sich für Tagemoses Projekt einspannen lassen. Das Konzept der Show als Quasi-4D-Erlebnis gerät stimmig.
Ray Cokes in Mönchskutte
Hinter eigentlich nur selten stummen, dafür stets urgewaltigen Schwarzweiß-Bildern, die ästhetisch stark von Tagemoses Expertise als Werbe- und Musikvideofilmer profitieren, steht die Coverband. Sie begleitet den Erzählfluss des Films mit Interpretationen von Metallica, Deftones, Rammstein oder den Doors. Vor der Leinwand wiederum moderiert mal MTV-Moderatorenlegende Ray Cokes in Mönchskutte die "dunkle Rock'n'Roll-Messe", indem er das Publikum mit Psalmen über Gut und Böse anheizt, mal gibt eine Sängerin opereske Figuren zum Besten. Hinzu kommen Konfettikanonen, Stroboeffekte und umgedrehte Leuchtkreuze.
Punk-Erzengel Iggy Pop
Die eigentliche Handlung der an Wagners "Götterdämmerung" angelehnten "Gutterdämmerung" ist dabei schnell erzählt: Punk-Erzengel Vicious alias Iggy Pop sieht von seiner Wolke aus, wie sich die Menschheit langweilt, und sendet eine Rockgitarre gen Erde. Unten angekommen entfacht das Instrument einen Kampf Himmel versus Hölle, bei dem sich zwei junge Frauen um den richtigen Platz für die Gitarre streiten – im Himmel, weil die Gitarre ein göttliches Instrument ist, oder die Erde, um dort die Hölle loszubrechen. Handlungsorte sind dementsprechend Kirchen, Schützengräben und Wüsten. Vor triefigen Rock'n'Roll-Klischees fürchten sich Tagemose und sein Cast demnach offensichtlich nicht. Insbesondere über Verweise auf Satanismus wird postironisch darum gerungen, die alte Idee von Rock'n'Roll als verführerischer Gefahr wiederzubeleben.
Ausgiebiger Szenenapplaus
Im weiteren Verlauf der martialischen Handlung gibt Henry Rollins den um Tugend ringenden Priester, Josh Homme den kaugummikauenden Cool Dude an der Bazooka, Grace Jones die Sensenfrau und Slash den sargophilen Rockvampir. So reiht sich eine Genreikone an die nächste, indes die meisten nur kurz und nonverbal als Cameo in Erscheinung treten. Das Publikum stört's nicht, das rund einstündige Musikvideo-Feuerwerk und sämtliche Rockgötter erhalten ausgiebigen Szenenapplaus. Am Lautesten wird es natürlich, als der letztjährig verstorbene Motörhead-Frontmann in seiner finalen Filmrolle auftaucht: Als Panzerführer und stilecht mit Ledermütze ist Lemmy der eigentliche Superstar an diesem Abend voller Rockhelden. Ihm wird gleich zweimal mit "Ace Of Spades" Tribut gezollt.
Gen Ende ist "Gutterdämmerung" dann vor allem ein ziemlich ausgelassener Headbanger's Ball. Zu den fetten Riffs der begleitenden Coverband verknoten sich die Metalmähnen vor der Bühne und am Buffet liegen sich Lack- und Lederfraktion in den Armen. Was als mindestens die nächste Evolutionsstufe des Kinos angepriesen worden war, endet an diesem Freitagabend also irgendwie erwartungs-, aber auch standesgemäß.
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