Der energiegeladene und erste Auftritt des US-Rappers in der Hansestadt könnte auch sein letzter gewesen sein.
Hamburg (dük) - Mindestens genauso ausschlaggebend für Travis Scotts Erfolg wie seine Musik sind seine Liveshows. Der Rapper aus Houston, Texas gilt als Energiebündel, das teilnahmslose Betrachter mühelos in Rager verwandelt. Nicht umsonst trägt einer seiner beliebtesten Songs den Titel "No Bystanders". Entsprechend hoch sind die Erwartungen an ihn, und übrigens auch die Ticketpreise. Travis ist zum ersten Mal in Hamburg: Kein Wunder also, dass die Fans trotz der teilweise exorbitanten Preise in Massen in die Barclays Arena strömen und sie nahezu restlos ausverkaufen.
Weltstar und Fashion-Vorbild
Gegen 21:20 Uhr betritt DJ Chase B die Bühne, nach lang anhaltendem Grillenzirpen, das die wartende Menge zuvor zu so manchem Buhruf animiert. Kurz darauf sieht man den Meister endlich auch persönlich, zunächst nur auf dem riesigen Bildschirm im Hintergrund der Bühne. Ein bisschen wirkt Travis Scott wie ein Boxer, der sich auf den Weg in den Ring macht, nur, dass ihn sein Outfit mit den Schulterpolstern eher wie ein Footballspieler aussehen lässt.
Die Aura des Rappers ist schon bei diesem ersten Blick, den die Zuschauer erhaschen, deutlich spürbar. Travis gilt als Weltstar, Fashion-Vorbild, einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Hip Hop-Branche im vergangenen Jahrzehnt und ist selbst in Kreisen, die sich nicht um Hip Hop bzw. Musik scheren, als Vater von Kylie Jenners Kind und Aushängeschild von Marken wie Nike und McDonald's bekannt. Die Circus Maximus World Tour führt ihn für vier Konzerte auch nach Deutschland, wobei neben Hamburg noch Frankfurt und Köln auf dem Programm stehen.
Feuer und Flamme
"La Flame" lautet der Spitzname des Rappers, und Feuer darf daher bei der gewaltigen Show nicht fehlen. Schon beim Intro "Hyaena" steigen Flammen in die Luft, man spürt die Hitze in der ganzen Arena. Derlei Effekte setzt der Rapper gleichwohl sparsam und wirkungsvoll ein, ohne von seiner Performance auf der Bühne abzulenken. Apropos Bühne: Mit dem Circus Maximus oder antikem Rom hat die optische Darstellung wenig gemein, trotz des Tournamens. Stattdessen wirkt das Bühnenbild eher ein wenig unheimlich, wie aus einem Fantasy-Film: Felsen, in denen sich Gesichter von unmenschlich wirkenden Wesen erahnen lassen, bilden ein langgezogenes Plateau, auf dem sich der Rapper im wahrsten Sinne des Wortes austobt.
Um die Felsen herum tummeln sich die Rager, ab dem ersten Song in Ekstase, Feuer und Flamme für das Idol. Immer wieder eröffnen sich Moshpits, ohne, dass der Rapper dafür irgendwas tun müsste. Die Setlist lässt zunächst wenig Zeit zum Durchatmen: Die ersten drei Songs kennen die Fans in dieser Reihenfolge schon vom aktuellen Album "Utopia": Auf das stürmische "Hyaena" folgen "Thank God" und "Modern Jam", dann die Lil Uzi-Kollab "Aye". Für "sdp interlude", eines der heimlichen Highlights vom 2016er Album "Birds In The Trap Sing McKnight" holt Travis ein paar sehr glücklich wirkende Fans auf die Bühne und hält ihnen auch das stark mit Autotune modifizierte Mikro hin.
Travis is for the children
Die insgesamt sehr "Utopia"-lastige Setlist weist ansonsten wenig Überraschungen auf. Neben dem Lil Uzi-Feature hat Travis auch die jüngsten Kollaborationen mit Playboi Carti ("Backrooms"), mit Future und Metro Boomin ("Type Shit") sowie Drake ("Meltdown") im Gepäck. Auf Besonders viel Anklang stößt "I Know ?", von der gesamten Arena a cappella gesungen, und natürlich "FE!N". Und unter den zahlreichen, quasi wie für Liveshows gemachten Songs sticht "FE!N" noch ein bisschen hinaus. Der Track mit dem denkbar einfachen Refrain wird bei so mancher Show über fünf Mal wiederholt und auch Hamburg kann davon nicht genug bekommen.
Auch auf altes Songmaterial greift Travis zurück, so kommen die Fans beispielsweise in den seltenen Genuss von "Drugs You Should Try It". Der Song, den der Rapper gemeinsam mit einem Fan performt, sorgt neben "My Eyes" für einen der wenigen ruhigen Momente - endlich Ausatmen. Für diejenigen, die sich in den Moshpit trauen, sicher eine willkommene Abwechslung. In Anbetracht der Tatsache, dass manche Fans zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seiner ersten Mixtapes "Owl Pharaoh" und "Days Before Rodeo" maximal fünf Jahre alt gewesen sein dürften, wirkt das Unterfangen, so alte Songs wie "Drugs", "Upper Echelon" oder "Mamacita" zu spielen, tatsächlich etwas riskant.
Generation Fortnite
Denn blickt man sich in der Barclays Arena um, fällt der geringe Altersdurchschnitt der Fans auf. Die Mehrheit besteht aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, doch zahlreiche Fans sind so jung, dass sie sogar ihre Eltern dabei haben. Eine Erklärung dafür dürfte in der cleveren Vermarktung des Rappers liegen. Travis erreicht die immer wieder nachwachsenden Fortnite-Generationen. Er gab dort als einer der ersten Künstler ein virtuelles Konzert, hat seinen eigenen Fortnite-Skin und -Emoji.
Eminem, Billie Eilish und Metallica zogen nach, auch sie erkannten das Potenzial in der Präsenz in einem eine so junge Zielgruppe erreichenden Spiel. Bei allen Künstlern kommen über die Jahre neue Fans hinzu, doch bei Travis dürften es dank derlei Kollabo-Schachzügen besonders viele sein. Die zu Beginn seiner Karriere vor allem auf SoundCloud veröffentlichte und auf Spotify immer noch nicht verfügbare Musik müsste so manchen gar nicht bekannt sein, trotzdem haben es ein paar Songs aus jener Ära in die Setlist geschafft.
Eine Junge erweckt während des Konzerts Travis Aufmerksamkeit, weil er mit verschränkten Armen dasteht. Er lässt die Kamera auf ihn und seinen Vater richten, entschuldigt sich bei ihm und holt den Sohn kurzerhand zu sich auf die Bühne, sodass dieser hautnahdie Performance von "Highest In The Room" miterleben kann. Eine von zahlreichen Interaktionen mit den begeisterten, jungen Fans, wobei sogar deren Eltern teilweise sichtlich Gefallen an der Show finden.
Überraschungsgäste treten an diesem Dienstagabend keine auf, stattdessen geht die Show mit dem mittlerweile längst ausgelutschten, aber weltweit bekannten "Sicko Mode" sowie den Hits "Antidote" und "goosebumps" auf ihren ekstatischen Abschluss zu. Ohne Überstunden gemacht zu haben, verlässt Travis nach ungefähr 80 Minuten die Bühne - auf eine Zugabe hoffen die Fans vergeblich.
On fire - noch immer
Ich selbst habe Travis Scott erstmals 2015, kurz vor dem Release von "Rodeo" auf dem Splash-Festival live erlebt. Damals hatte er hierzulande noch den Status eines Geheimtipps inne, er war als eine Art Ziehsohn von Kanye West und T.I. bekannt und erzielte mit "Antidote", nachdem "Days Before Rodeo" noch etwas unter dem Radar lief, einen echten Überraschungserfolg. Der Vergleich mit der Performance vor fast einem Jahrzehnt bietet sich natürlich an, ist aber gleichzeitig etwas unfair. Denn dieses Stadionkonzert mit Sitzplätzen (wobei es auch in Hamburg so gut wie niemanden auf den Stühlen hielt) kommt an ein Moshpit-Erlebnis bei einem noch so hungrigen, zum ersten Mal im Ausland auftretenden Künstler nicht heran.
Trotzdem war auch in Hamburg in manchen Momenten noch immer dieselbe Energie zu spüren, die die Konzerte des Rappers so besonders machen. Travis selbst fand an der Show offenbar auch Gefallen: "The show was the best ever. And the fans are amazing" schrieb er nach dem Auftritt auf Twitter/X. Einziger Wermutstropfen: So bald wird man ihn in Hamburg womöglich nicht wiedersehen: "But I will never come back to Hamburg. Simply because the airport people are just weird."
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