laut.de-Kritik

Verzerrte Gitarren und zerfasernde Sounds bilden die Kakophonie des Terrors.

Review von

Vor einigen Wochen startete Trent Reznor selbst die Vermarktung seines neuen Nine Inch Nails-Albums "Year Zero". Auf diversen Internetseiten gab es häppchenweise Informationen zu einer möglichen Verschwörung in der Zukunft. Die christliche Rechte regiert dieser Vision zu Folge Amerika mit Waffengewalt und der Macht des Wortes. "Year Zero" bietet jetzt den Soundtrack dazu, musikalisch irgendwo zwischen zugänglich wie der Vorgänger "With Teeth" und verschroben industriell.

Das Instrumental "Hyperpower!" leitet die vertonte Zukunftsvision ein. Ein regulärer Drumbeat und stark verzerrte Gitarren treiben sich zu einer Kakophonie des Terrors. Im Hintergrund sind Stimmen zu hören. Militärischer Befehlston, ein Anheizer, der die Massen verführt, dann nur noch Geschrei und Schüsse aus futuristischen Waffen. Dann schaltet sich Reznor ein. Mit sonorer, fester Stimme singt er "The Beginning Of The End". Sie können Gedanken lesen, erfahren wir, und dass Gott denen hilft, die sich nicht selbst helfen können. Ganz langsam steigert die Band sich in das Album hinein.

Die erste Single "Survivalism" erinnert an die alten Nine Inch Nails. Schnelle, harte Beats geben den Marschrhythmus vor. Über das Album verteilt gibt Reznor Einblicke in die USA, wie er sie sich in zehn, fünfzehn Jahren vorstellt. Ein totalitäres Regime hält die Massen mit der exekutiven Gewalt von Polizei und Militär ruhig: "Gun fire in the street where we used to meet." Musikalisch wechseln harte Brocken wie das schwere Industrialstück "Vessel" mit eingängigen Nummern à la "The Good Soldier" ab. Ein tonales Wechselbad der Gefühle. Kurze Momente der trügerischen Ruhe in einem zukünftigen, unangepassten Leben in Angst. Am Ende steht die niederschmetternde Erkenntnis: "I don't think I can last here."

Doch auch die ruhigen Songs wie "Me, I'm Not" lösen anhaltende Beklemmung aus. Man kann die Angst, die die Nine Inch Nails für die Zukunft prognostizieren, förmlich spüren. "Capital G." sticht noch am wenigsten aus den 16 Titeln hervor, doch mit "My Violent Heart" beginnt sich der Widerstand zu formieren. Kein Regime kann auf Dauer bestehen, "Time will feed upon your weaknesses." In "The Warning", einem arg verzerrten und verstümmelten Stück, bedient sich der Frontmann ganz ungeniert bekannter Öko-Rhetorik: "You've become a virus, killing off his host," spricht The Presence, die handförmige Erscheinung aus des Sängers Vision, zu den Menschen.

Für "God Given" wechselt Reznor den Blickwinkel, jetzt spricht durch ihn scheinbar die Church Of Plano, die an The Presence glaubt. Auch "Meet Your Master" weist ein Höchstmaß an Bit-Schubserei auf, die Nine Inch Nails zelebrieren hier regelrecht die Dekonstruktion von gewohnten Sounds. Das düster-abgründige "The Greater Good" stellt mit fünf Textteilen dar, wie der (US-)Bürger der Zukunft der Gemeinschaft hinzugefügt wird, die eben dem "Greater Good" dient. "The Great Destroyer" deutet schon einmal die Zerstörung des unterdrückenden Systems an: "I hope they cannot see the limitless potential living inside of me", passend dazu zerfasert der Song immer mehr in einen elektronischen Albtraum.

Das Instrumental "Another Version Of The Truth", dominiert von einem Klavier, ruht fragil in sich und deutet vielleicht so etwas wie eine Ruhe nach dem Sturm an, der aber offensichtlich noch bevor steht. "In This Twilight" und der großartige Titeltrack bilden einen verunsichernden, aber musikalisch hervorragenden Ausstieg aus "Year Zero".

Wie es am Ende ausgeht, in der Zukunft, im Jahr Null, weiß niemand. Trent Reznors Vorstellung deutet an, lässt aber vieles unausgesprochen. Vielleicht muss er auch nichts auflösen, denn die zentrale Message, wenn Reznor denn eine verbreiten möchte, ist die: Die Wurzeln totalitärer Regime reichen weit zurück. Die Schwächung der Demokratie fängt für viele unmerklich an, indem ein Klima der Angst erzeugt wird. Ob dieses Klima in den USA herrscht, vermag ich nicht zu beurteilen, die Nine Inch Nails scheinen das so zu sehen, und fordern imperativ: Wehret den Anfängen!

Die Texte verstärken diese Message, doch die Musik allein ist an Intensität kaum zu überbieten. Trent Reznor hat mit "Year Zero" ein dichtes, rundes Werk geschaffen, das in seiner musikalischen Vielschichtigkeit und seiner erzählerischen Stringenz in eine Linie mit "The Downward Spiral" zu stellen ist.

Trackliste

  1. 1. Hyperpower!
  2. 2. The Beginning Of The End
  3. 3. Survivalism
  4. 4. The Good Soldier
  5. 5. Vessel
  6. 6. Me, I'm Not
  7. 7. Capital G.
  8. 8. My Violent Heart
  9. 9. The Warning
  10. 10. God Given
  11. 11. Meet Your Master
  12. 12. The Greater Good
  13. 13. The Great Observer
  14. 14. Another Version Of The Truth
  15. 15. In This Twilight
  16. 16. Zero Sum

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