laut.de-Kritik

Der vielleicht beste Gig ihrer viel zu kurzen Karriere.

Review von

Die Vorzeichen hätten nicht schlechter sein können: Am 4. August 1992 liefert sich Kurt Cobain aufgrund seiner völlig aus den Fugen geratenen Heroinabhängigkeit selbst zur Entgiftung in die Cedars-Sinai-Klinik in Los Angeles ein. Kurz bevor seine Frau Courtney Love dort am 18. August Tochter Frances Bean zur Welt bringt, klappt der geschwächte Sänger ohnmächtig zusammen – zwölf Tage vor dem Reading-Festival, bei dem Nirvana als Headliner vor 60.000 schlammdurchtränkten Fans ihr größtes Konzert in England geben sollten.

Angestachelt vom Dauerfeuer der Boulevardpresse, die das Junkie-Pärchen und insbesondere Love ob ihres mutmaßlichen Drogenkonsums während der Schwangerschaft in der Luft zerriss, sowie den am Festivalsonntag kursierenden Gerüchten, Nirvana werden nicht auftreten und er selbst habe eine Überdosis erwischt, eröffnet Cobain das Konzert mit einer satirischen Slapstick-Einlage.

In Krankenhausleibchen und blondes Kunsthaar gewandet, lässt er sich vom hoffnungslos besoffenen Melody Maker-Journalist Everett True im Rollstuhl auf die Bühne karren, zieht sich mit allerletzter Kraft am Mikroständer hoch und bricht nach einer hingejaulten Songzeile theatralisch zusammen.

Die Zuschauer kapieren den Gag – klatschen, grölen und bekommen in den folgenden 90 Minuten einen Einlauf verpasst, von dem sie wohl bis zum Sankt Nimmerleinstag zehren werden. Denn aller widrigen Umstände und persönlichen Scharmützel zum Trotz liefern Nirvana an diesem Abend den vielleicht besten Gig ihrer viel zu kurzen Karriere ab. Kaum auszumalen, dass sie als Trio jemals kraftvoller, leidenschaftlicher und tighter zusammen spielten.

Die 'Band der Stunde' spielt (bis auf "Something In The Way") nicht nur die komplette "Nevermind" - auch
"Bleach"-, und "Incesticide"-Fans haben dank "Negative Creep", "Aneurism" oder "Been A Son" nix zu meckern. Cobain, Grohl & Novoselic (der die Menge in den Stimmpausen mit Witzen bei der Stange hält) sind offensichtlich nicht nur in Spiel- sondern auch in Spendierlaune und tischen ganze sechs rare bzw. brandneue Songs auf: Neben "Spank Thru", "The Money Will Roll Right In" und dem Wipers-Cover "D-7" gibt es mit "All Apologies", "Dumb" und "Tourette's" drei frühe Vorboten zu "In Utero".

Letzteres wird nebst Wink an alle anwesenden Bootlegger unter dem grenzdebielen Titel "The Eagle Has Landed" angekündigt. Here we are know, entertain us – das Motto des Abends gilt auch für den Überhit "Smells Like Teen Spirit", dessen Intro Nirvana absichtlich verpfuschen, um dann galant in "More Than A Feeling" von Boston (!) überzugehen. Kann man bei so (hüstel) ähnlichen Riffs ja mal machen.

Während sich die Headliner auf Festivals zuletzt zu einem exzessiven Schwanzvergleich der dicksten Lightshows und teuersten LED-Screens hinreißen lassen, transportiert
diese popanzfreie Performance aus dem Sommer 1992 eine geradezu anachronistische Attitüde: Leckt-uns-doch-alle-am-Arsch-wir-gehen-einfach-auf-die-Bühne-und-blasen-euch-das Hirn-weg.

"Sonic Exzess In Its Purest Form" – um es durch die Crowbar-Blume zu sagen. Wenn ihr also einem Ahnungslosen erklären wollt, was es mit dem Phänomen Nirvana auf sich hat(te), drückt ihm einfach diese DVD in die Hand. Deren Veröffentlichung war im Gegensatz zu manch überflüssigen Nirvana-Devotionalien
längst überfällig.

Trackliste

  1. 1. Breed
  2. 2. Drain You
  3. 3. Aneurysm
  4. 4. School
  5. 5. Sliver
  6. 6. In Bloom
  7. 7. Come As You Are
  8. 8. Lithium
  9. 9. About A Girl
  10. 10. Tourette's
  11. 11. Polly
  12. 12. Lounge Act
  13. 13. Smells Like Teen Spirit
  14. 14. On A Plain
  15. 15. Negative Creep
  16. 16. Been A Son
  17. 17. All Apologies
  18. 18. Blew
  19. 19. Dumb
  20. 20. Stay Away
  21. 21. Spank Thru
  22. 22. Love Buzz
  23. 23. The Money Will Roll Right In
  24. 24. D-7
  25. 25. Territorial Pissings

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