laut.de-Kritik
Ticker-Rap aus leerstehenden Wohnungen.
Review von Raphael ChasséNizi19 und vor allem sein für das "Weh"-Signature-Adlib bekannter Partner in Crime, Lucio101, avancierten in den letzten fünf Jahren zu den Gesichtern von Berliner Ticker-Rap. Auf Trap-Beats rappen die beiden Musiker meist sehr monoton über Drogendeals. Ich habe mir von einem Gumbl (sic!), der selbst in diesen Kreisen verkehrt, sagen lassen, dass Lucio tatsächlich eine Größe im Berliner-Cannabis-Handel sei. Ein hoher Realness-Faktor ist also schon einmal gegeben.
"Westend" beginnt mit "Schub", der dasselbe Sample verwendet wie das Intro der "Danny Brown Show" oder "Taube" von Audio88. Der Opener weist dabei sowohl inhaltlich als auch soundtechnisch alle Elemente auf, die uns auch in den weiteren zehn Songs begleiten: jede Menge Plug Talk, triolische Flows und auf die Eins gesetzte Reime.
Auf dem zuvor als Single erschienenen "Überschwemmt" spittet Nizi gemeinsam mit seinem Bro Lucio und dem auf Englisch rappenden Omar101 auf einem Detroit-Trap-Beat. Die Hook mit dem sich abwechselnden Rap von Lucio und Nizi setzt das Highlight des Songs. Die Stimmen der beiden harmonieren und ergänzen sich, und die Featuregäste treiben den Hauptakteur zu Höchstformen. Das ist auch auf "Big Opp" mit Kalim zu beobachten, wo Nizi seinen ganzen Part über auf den Titel des Tracks reimt. Sein Offbeat-Flow auf dem düsteren Instrumental kommt brutal.
Nennt mich konservativ, aber es macht mich etwas traurig, dass sich "Westend" nicht noch stärker an dem Klang des jazzigen "Puzzle" oder "Block orientiert. Mit einigen Ausnahmen wie beispielsweise dem Vaporwave/Memphis-mäßigen "Codein Tränen" fehlt es den Beats an Charakter.
Nichts gegen Nizis zwanglosen Vortrag, die Doubletime- und Triolen-lastigen Flows, gepaart mit der eintönigen Stimmlage, finde ich schon cool und die von jeglicher Meta-Ebene befreiten und stumpfen Punchlines wie "Wohnung von ein' Rentner, die ich als Versteck benutz'" oder "Bei uns gibts halbe und ganze, kein Subway" grundsätzlich feierbar. Leider fehlen vielen der Anspielstationen aufgrund der mittelmäßigen Beats und einem Nizi, der meist hinter seinem vollen Potenzial zurückbleibt, das gewisse Etwas.
"Westend" ist ein kurzweiliges Album, das einen für exakt 25 Minuten in leerstehende Wohnungen entführt, in denen heiße Ware abgewogen und verpackt wird, bevor Nizi sie vercheckt. Bedauerlicherweise scheint ihm der illegale Geschäftszweig wichtiger zu sein als die künstlerische Selbstverwirklichung. Mit etwas mehr Ausarbeitung hätten wir hier vielleicht ein wirklich gutes Album vorliegen.
1 Kommentar
Ramsan Kadyrow ist jetzt auch Rapper geworden? Cool.