laut.de-Kritik

Benebelte Nonchalance trifft couragierte Angriffslust.

Review von

"Paar Ecken Hish" fehlt bedauerlicherweise auf ihrem Solodebüt. Nach ihrem Rap-Debüt in den Reihen des Pilzkollektivs machte dieser karrieredefinierende Solosong OG Lu bekannt. Ihr Produzent DTP entzog sich dabei dem Deutschrap-Klischee, ein Piano-Instrumental ausschließlich zu nutzen, um das eigene Seelenleben auszuloten. Stattdessen erklang ein staubtrockener Loop, der nur als grobes Gerüst ihrer drogeninduzierten Nonchalance diente. Die passionierte Kampfsportlerin rappte dazu durchaus dynamisch, ohne jedoch an ihrer erprobten Lässigkeit einzubüßen.

Mit "Dirty Hoez" startet ihr "TKO Tape" nun ähnlich fesselnd. Ein geradezu maschinelles Instrumental bahnt sich eindringlich seinen Weg und weckt dabei Assoziationen zur zerdepperten S-Bahn, die das Cover ziert. Der rigorosen Atmosphäre setzt OG Lu ihre fast verschlafene Zwanglosigkeit entgegen: "Digga, alle sind so am Stressen. Jeder sagt, mach' dies, komm' da. Doch ich will einfach nur Essen, Bruder." Die Rapperin scheint zumeist zwei Botschaften gleichzeitig senden zu wollen. Ganz so, als lächele sie vordergründig benebelt, während sie sich hinter dem Rücken bereits den Schlagring anlegt.

Doch "Dirty Hoez" schlägt auch neue Töne im durch und durch kapitalistischen Rap-Genre an. "Alle wollen mich mit Geld beschmeißen. Doch ich bleib' mir selber treu und geb' 'n Fick auf eure Scheine", insistiert die Frankfurterin. Maßvoll beteuert sie, "kein' Manager, kein' A&R" zu benötigen. In "Lu (Jewelery)" entsagt sie sich den Insignien ihrer erfolgreichen Kollegen: "Mich interessieren eure Uhren nicht." Zugleich bricht OG Lu mit der von vielen ausgestellten Coolness, obwohl sie auch darin den Großteil der Konkurrenz in die Tasche stecken könnte: "Lu, Außenseiter gibt 'n Fick auf alle Cool-Kids."

"Lu (Jewelery)" steht für die starke desillusionierte Seite, die OG Lu sonst unter der Kämpferpose verbirgt: "Ich glaube selten an was anderes als an mich selbst, denn im Endeffekt muss jeder eigenes Päckchen Elend heben." Ohne jede Selbstüberhöhung steht sie in "Taxi" fragend vor sich selbst. Und im wohl stärksten Stück mutet ihr die eigene "Gegend" fremd an. Im Doppel mit Produzent Chen entsteht ein ähnlich verlorener Vibe wie bei Dante YN, der seine Runden auf ein "Paar Sommerlieder" um den Block dreht. "Bin es ich oder hast du dich verändert?", lautet die melancholische Gretchenfrage.

Auch die couragierte Seite der Rapperin nimmt Raum ein. "Du willst teures Leder riechen? Twins an meinen Fäusten", bereitet sie ihre Widersacher auf den "TKO" vor. Rych kreiert dazu eine Unterlage, die sie mit Publikum und Ringglocke weiter anstachelt, Sounds im Stil von Stöhnen ihrer benommenen Kontrahentin auffährt und Bässe wie Schläge und Tritte im Thaibox-Ring einschlagen lässt. "Bela & Finta" funktioniert wie ein Rap-Sparring mit Japo. Ein hochfrequenter Keyboard-Loop hält die Spannung hoch, während das Duo kaum merklich zwischen ihren Strophen und dem Chorus wechselt.

So ließe sich das erste Solotape OG Lus als rundum gelungenes Projekt verbuchen, wären da nicht die haarsträubenden politischen Statements. Schon im Titel "1312 Freestyle" ist die abwertende Losung 'All Cops Are Bastards' codiert. "Ich hasse jedes Bullenschwein, ob Streife oder SEK, BFE-Beamten oder Zivis nachts im Hafenpark", rappt sie unversöhnlich zum lahmen Drehorgel-Beat, "Grüße jede Schwester, die nach Steinen statt nach Scheinen greift". Es mag kein neues Genre-Sujet sein, doch ihre zugepaffte Pose lässt sich kaum mit einem so starken, undifferenzierten Gefühl wie Hass verbinden.

"Wenn's nach mir geht, gibt es morgen Brandanschlag auf Sarrazin", heißt es in "Rihanna" an der Seite von Donna Savage. So unsäglich die öffentliche Rolle des früheren SPD-Finanzsenators fraglos ausgefallen ist, mit ihrer vage argumentierten, verbalen Eskalation schadet die Frankfurterin letztlich nur ihrem Anliegen. Ganz zu schweigen von ihren Einlassungen zum Nahost-Konflikt. "Hör' den ganzen Tag nur Hanybal", gesteht sie im "Outro". Und dass sie den mittlerweile von allen guten Geistern verlassenen Azzlackz-Rapper abfeiert, scheint leider ebenso in ihrer Musik wie ihren Social-Media-Beiträgen durch.

Trackliste

  1. 1. Dirty Hoez
  2. 2. TKO
  3. 3. Bela & Fitna (mit Japo)
  4. 4. 1312 Freestyle
  5. 5. Chen
  6. 6. Skit
  7. 7. Lu (Jewelery)
  8. 8. Rihanna (mit Donna Savage)
  9. 9. Taxi
  10. 10. Outro

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1 Kommentar

  • Vor 2 Monaten

    Bin hier dank der DT drübergestolpert...aus Unwissen und weil ich auf die Schnelle Nix finde: Wieso ist Hany denn "mittlerweile von allen guten Geistern verlassen..."? Finde halt seine SM Posts die sich quasi ausschließlich um den Genozid in Gaza drehen und ja, zT fragwürdiges Vokabular, aber Vieles schon auch true...gibt es da Irgendwas, was ich übersehe?