laut.de-Kritik
100 Meter größer.
Review von Rinko HeidrichZwei Typen aus Manchester-Burnage, einer heruntergekommenen Sozialbautensiedlung, erschaffen Songs für eine ganze Generation und nehmen diese auf eine wahnwitzige Reise bis zur Spitze des Olymps mit. Oasis zehren immer noch davon, Liam Gallagher ging sogar dieses Jahr mit dem Oasis-Debüt auf eine Tour, obwohl Noel doch all die Klassiker wie "Live Forever" schrieb. Das Beben, das "Definitely Maybe" auslöste, trägt sie bis heute durch ihre Solo-Karrieren.
Es war die perfekte Mischung aus Ghetto-Attitüde, wie man sie eigentlich von den coolen Westcoast-Rappern um Dr. Dre kannte, und einem sehr guten Gespür dafür, wie man die ganzen Jahrzehnte britischer Popmusik - nicht nur die Beatles, wie immer behauptet wird - in kurzen Songs zu überlebensgroßen Hymnen umfunktionierte. Es war nicht mehr das Selbstmitleid-Gejammer aus Seattle, sondern eine laute Ansage: "Ihr wollt mich nicht zu euer Party? Dann trete ich die Tür ein und du verdammtes Arschloch wirst mich nie wieder so behandeln. Ich lasse mich von niemandem mehr erniedrigen und übrigens noch was: Ich werde ein gottverdammter Star!"
Lads mit großer Fresse, aber - wenn man genau hinschaute - auch mit der Verletzlichkeit eines ausgestoßenen Underdogs, der um seinen Platz in der Welt kämpft. "Sad Song" ist so ein Beispiel. Clint Boon von den Inspiral Carpets, eine von vielen Bands, die in der DNA von Oasis versteckt sind - rüffelte seinen damaligen Roadie Noel Gallagher entgeistert: "Du willst doch nicht ernsthaft einen Song mit so einem Scheiß-Titel herausbringen?" Natürlich blieb der Titel schon aus purem Trotz. Ein Song, bei dem viele Bands froh wären, wenn sie auch nur einen einzigen von solchem Format schaffen würden, und der von Noel auf die Japan-Edition verschoben wurde. In der "30th Anniversary Edition" gibt es nun auch eine sehr frühe Version, mit Liam statt Noel am Mikrofon. Die kennt man zwar auch von Liams Solo-Touren, aber 1992 hatte er seine Stimme eben noch nicht komplett ramponiert. Es ist fast schon erschreckend und etwas putzig, wie kindlich Liam auf der Aufnahme klingt. Mit seiner engelhaften Chorknaben-Stimme wirkt er noch wie ein Junge, den man vor der bösen Welt beschützen muss. Dies sollte man bei aller Euphorie über das Oasis-Comeback auch berücksichtigen: Die Stimme von damals, in all ihren unterschiedlichen Phrasierungen, bekommt man leider nicht mehr zurück.
Die Stimme seines älteren Bruders klingt reifer und passt zu der traurigen Alltags-Thematik des Songs, während Liam hervorragend die jugendliche Großkotzigkeit in Tracks wie "Supersonic" verkörperte. Zum Ende zerfasert "Supersonic" etwas, in der endgültigen Album-Fassung bleibt er auf das Wesentliche reduziert. Noel hatte in den Neunzigern so einen Lauf, dass er solche Songs einfach als B-Seite verramschte oder auf limitierte Ausgaben packte. Auch "Whatever", längst ein britischer Rock-Klassiker, kam tatsächlich nicht auf die Original-Ausgabe von "Definitly Maybe" und wurde damals zackig in einer limitierten Edition nachgeschoben. In der "30th Anniversary Editon" sucht man den Klassiker wieder vergebens, dafür war er in der 2004er-Remastered Version enthalten.
Als Kaufanreiz dient diesmal die Veröffentlichung der Monnow Valley-Sessions und ein paar Outtakes aus den Sawmill Studios. Einen qualitativen Sprung nach vorne bieten sie nicht, aber eine andere Perspektive. Oasis sind eine junge Band, die naiv und unverbraucht ihren Weg sucht. Die Sound-Technikerin Anjali Martin, die auch Teil des damaligen Produktions-Teams war, sieht diesen rauen Entwurf heute als ehrlicher an, näher an dem, wie Oasis damals waren. Die Gitarren sind noch schmerzhaft laut, der Sound äußerst rumpelig. Als Noel diese Aufnahmen Labelchef Alan McGee vorlegte, war schnell klar, dass nochmal ein anderer Produzent ran muss. Owen Morris, der bis "Be Here Now" blieb, brachte eine andere Ordnung herein und erschuf eine druckvolle Wall Of Sound, die dem selbstbewussten Live-Sound der Band näher kam.
Anjali Martin findet, dass ihr diktatorischer Stil dem etwas chaotischen Workflow gut tat, gibt aber zu, dass er der Seele der Musik schadete. Was sofort mit Blick auf die Länge auf die Tracklist auffällt, ist, dass die Songs in der Ur-Version noch länger sind und fast schon an "Be Here Now" heran reichen. Ironisch, dass Owen Morris, der "Definitly Maybe" noch so gut komprimierte, auch bei diesem elend langen Album die Songs sinnlos aufbauschte. Was er damals auf den Tisch bekam, war bereits Material, mit dem man gut arbeiten konnte, dem aber noch viel zu oft eine Dynamik fehlte. Interessant, nicht unbedingt notwendig, sind die Fade-Outs. Zum Ende der Songs gibt es immer wieder verspieltes, fast schon introvertiertes Noel-Gitarrenspiel. Komplett auf die Spitze treiben es noch die Sawmill Sessions, in denen "Columbia" auf ein siebenminütiges Monster mit noch mehr Feedback-Gitarren anschwillt.
"Slide Away" fehlt komplett der Kompass und klingt nach zwei Bands, die gegeneinander antreten. Der Song klingt wirklich aufreizend schlecht in dieser Version und macht im Original den größten Sprung nach vorne. Vielleicht hatte Noel wirklich eine andere Idee von "Definitly Maybe", aber Morris brachte wieder den Fokus auf das Wesentliche zurück. Natürlich haben diese fehlerhaften Aufnahmen ihren Reiz, aber die Grundidee des Albums verändern sie nicht massiv. "Rock'n'Roll Star" bleibt die sofortige Standort-Bestimmung direkt zum Einstieg, und "Married With Children" der merkwürdig verträumte Album-Abschluss. Die Sessions haben den Charme von verwackelten Polaroids, auf denen man ab und zu was Neues entdeckt, aber eigentlich können sie danach auch wieder zurück in die Box.
Der Wille, etwas zu verändern, schimmert trotzdem durch. Oasis wollten unbedingt etwas anstoßen, agierten dabei zu ungestüm oder wussten einfach noch nicht, wie sie es anstellen sollten. Klar ist nur: Sie haben es zum Ende geschafft. Und auch noch heute, Jahrzehnte nach der Veröffentlichung, löst "Definitly Maybe" sowohl bei ergrauten Musikhörer*innen als auch TikTok-Kids das gleiche Gefühl nach dem wiederholten oder erstmaligen Anhören aus: Du fühlst dich 100 Meter größer, dein Kopf ragt bis in den Himmel und alle Probleme liegen ganz weit unter dir.
3 Kommentare mit 24 Antworten
Stellungnahme:
Aufgrund des Aufschreis des beliebten und allseits geschätzten Users "madito" möchte ich folgende Punkte klärend ausführen:
1. Für den infamen Vergleich mit den Beatles (ja wirklich.. DEN Beatles) möchte ich mich hiermit quasi Entschul-Äh. diggen #garrigate
Es war nie wirklich meine volle Absicht Menschen und solche die es werden wollen in ihrer musikalischen Entfaltung zu verletzten. *Ich behalte mir jedoch Änderungen vor.*
2. Meinem lieben Freund, dem Lautuser, schicke ich hiermit Grüße an den Brüser Berg. Ich tat es nur seinetwegen. Er ist großer Fan der Band Oasis und das verdient Respekt. Ja das muss ich sagen.
3. 9.6 Black Friday. EGJ Supermacht
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit
Kopie geht raus an Rainer H.
Ach, lauti ist der Bonner... Tsts... Ich sollte wirklich öfter hier meine Zeit verplempern. Viele Ermittlungsergebnisse gehen hart an mir vorbei :'(
Wenn Sie fragen zum Thema „Der Lautuser und sein Erschaffer“ haben, wenden sie sich vertrauensvoll an das Institut für Lautiforschung. Sie finden eine unserer Außenstellen unter https://webchat.quakenet.org/ im Kanal #gromky. Dieser war übrigens ein langjähriges Habitat für den gemeinen Lautuser.
Herzlichst,
Ihr Amtsvorsteher
Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.
Warum wird hier ein (etwas müder) Text von mir schamlos zweckentfremdet? Olivander? Erkläre dich
Ich wollte nur Mal wieder an den Lautuser erinnern, der alten Zeiten wegen.
Was ist eigentlich mit dem User aus dem Münsterland (NRW) geworden, der auch einen Blog hatte. Mir fällt gerade der Name nicht mehr ein.
Speediconzal?
Speedi alias Stephan ist im Juni 2022 an Rachenkrebs verstorben. Scheiß Zigaretten. Er und ich waren privat jahrelang sehr eng befreundet und hatten bis zuletzt ständigen Kontakt. Im Juni 2016 hat er einen Blog gestartet, einen Monat später im Juli 2016 stieß ich dazu. Von Oktober 2016 bis Dezember 2016 gab es ein drittes Mitglied, doch hat sich diese Person als illoyal herausgestellt. Seit speedis Tod führe ich den Blog alleine weiter bzw ist CAPS seit Juli 2022 Teil jenes Blogs, der in unregelmäßigen Abständen und keinem festen Themenspektrum folgend neue Inhalte bringt
Hier der Link
https://ancientcave.blogspot.com/?m=1
Fuqq, ist an mir vorbei gegangen.
R.I.P. Speedi.
In unregelmäßigen Abständen trifft es gut ich plane ja eigentlich schon lange eine Quantitätsoffensive, mir fehlt nur irgendwie immer Zeit oder Muße.
Und RIP Speedi natürlich noch
Das tut mir Leid. Er war auf der Station in Behandlung, wo meine bessere Hälfte gearbeitet hat, und da sah er wohl schon sehr schlecht aus.
@CAPS kommt Zeit, kommt Beitrag
RIP, Speedi... Schönes Projekt, der lose Blog, mal sagen!
Anekdoten, Kleinode oder Scheunenfunde. Alles willkommen, doch nur wenn es blogwürdig ist.
Für Fans sicherlich interessant. Ich hab sie als Threehitwonderwall wahrgenommen die dem damaligen Hype nicht gerecht wurden. Was sie auch nicht müssen. Es gab zu der Zeit, wie auch heute, massig gleichtalentierte Bands. Die Reunion schreit aber sehr laut "Cashgrab"!
Da täuscht die eigene Wahrnehmung wohl...
Ja, so kann man sich täuschen. Aber das passiert auch den Besten dann und wann...
So richtig erschließt sich der Sinn dieser Jubiläumsveröffentlichungen aber auch nicht.
Ich habe seit einigen Jahren die 25th anniversary-Ausgaben der ersten beiden Oasis-Scheiben, aber auch da höre ich immer nur die 1. CD... also das normale Album.... bin vermutlich nicht hardcore genug.
Gerade ein Meme auf FB gesehen:
"Your favourite Oasis song tells a lot about you. For example, If you have a favourite Oasis song you probably have bad taste in music."
Cool, ist aber nicht lustig.
"i love how music takes you away to another place. like mumford & sons is playing in this restaurant so now i'm going to another restaurant"
@7SuendenaufeinemStreich
Genau wie deine Antwort!
@Schwingster
Den find ich noch besser...
Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.
Habe mich umentschieden und gelöscht, kollegahs ami-versuche sind auch nicht witziger als das steife oasencamp über mir
Ein neues Album höre ich mir aber gerne an, aber danach bitte der diskurs weiterhin auf englisch. Ohne schlechte Witze von mir und mehr im Tee
Außerdem gebe ich keinem Arschloch mehr eine nachhaltige Bühne.
Und Champagne Supernova erst
https://www.youtube.com/watch?v=whnxiwgjZHk