laut.de-Kritik
Ein kurzer Kampf mit der Definition von Weiblichkeit.
Review von Michael SchuhTolles Timing. Wenige Monate, nachdem ich endlich das Östro 430-Debüt auf Ebay erstehe, kommt Tapete Records mit einem Re-Release um die Ecke. Timing ist hier ohnehin das Stichwort: Satte vier Jahre ist diese Wiederveröffentlichung bereits in Planung, und dann erscheint die Kombination der beiden einzigen Östro 430-Studioalben unter dem Titel "Keine Krise Kann Mich Schocken" im Corona-Jahr 2020. An der Gültigkeit ändert der Titel fast nichts: Nur der erste Liveauftritt seit 36 Jahren im Mai musste verschoben werden. Gemeinsam mit den Fehlfarben und den Mimmis wollte man das Düsseldorfer JAB noch würdig verabschieden, bevor es im Sommer abgerissen wird.
Die Frauen-Punkband Östro 430 gründet sich Ende 1979, ist aber schon im Jahr zuvor Stammgast bei Carmen Knoebel im Hof, wie Zeitzeugen den kreativen Umschlagplatz Ratinger Hof nennen. Sie hängen mit der Szene ab, aus der Bands wie ZK (für Zum Kotzen) und Mittagspause hervor gehen, die später Fehlfarben und Die Toten Hosen werden, weswegen Sängerin Martina Weith auch in Jürgen Teipels Doku-Roman "Verschwende Deine Jugend" als Protagonistin auftauchte, wo sie allerdings im Pulk der krakeelenden Männer sträflich unterging.
Leider ein Sinnbild für die kurze Karriere von Östro 430, die nur fünf Jahre andauert und zwei Alben hervorbringt: "Durch Dick Und Dünn" (1981) und "Weiber Wie Wir" (1983). Die komplette Zeit der Neuen Deutschen Welle waren sie also aktiv, aber für Songtexte, in denen Frauen explizit Sex einfordern ("Sei Lieb"), war der Mainstream offensichtlich nicht zu sprechen und düste lieber im Sauseschritt auf irgend einem Himmelsritt.
Die aktive Zeit von Östro 430 ist ein kurzer, aber stetiger Kampf mit der Definition von Weiblichkeit. Ein als typisch feminin angesehenes Verhalten lehnen sie ab. Frauen sind nicht nur weich, gefühlvoll oder gluckenhaft, sondern auch kampfeslustig, wollen abhängen, pöbeln, "Randale und Bier". Muttersöhnchen und Malochern geht es in Östros Texten entsprechend an den Kragen. Eine Attitüde, die die Musikerinnen im Hof aufgesogen haben. Hier durfte jeder alles. Also warum nicht auch ohne Männer auf die Bühne gehen? So etwas bringen eben nur "Weiber wie wir" oder die britischen Slits, Anfang der 80er Jahre ist die Idee einer reinen Frauenpunkband bestenfalls exotisch.
Gegen ein wenig männliche Fürsprache ist dagegen nichts einzuwenden und nachdem die Fehlfarben 1980 für ihre Tournee einen Support suchen und bei den Östros anklopfen, sagen Martina Weith, Bettina Flörchinger (Keyboard), Marita Welling (Drums) und Olivia Casali (Bass) erfreut zu. Allerdings sind die Zuschauerzahlen überschaubar, denn "Monarchie und Alltag" war kein Instant-Classic. Im Folgejahr erscheint dann das Debüt "Durch Dick & Dünn" beim Düsseldorfer Indielabel Schallmauer mit Kultsongs wie "Sexueller Notstand", "Zu cool" oder "Das quietschende Bett". Darin halten die Musikerinnen der bundesrepublikanischen Spießbürgerlichkeit in bester Punk-Manier den Spiegel vor - und zwar ganz ohne Gitarren. Bass und Keyboards treiben die Songs an.
In "Das quietschende Bett" geht es nervigen Nachbarn recht unmissverständlich an den Kragen: "Die woll'n mich in die Klapse schicken / denn mein Bett, das quietscht beim Ficken / die gönnen mir nicht meinen Spaß / und in mir sitzt tiefer Hass." Besonders Weiths Aggrogesang prägt die Antihaltung der Songs, wenn sie aus Ermangelung von Netflix einfordert, "Fernsehn zu glotzen" oder sich mal wieder nervige Typen vom Leib halten muss: "Da kann man halt nichts machen / ich bin zu cool für dich".
Warum das halbe Land Anfang der 80er-Jahre Dienstags zuhause bleibt, erschließt sich nur TV-Historikern: Die Antwort lautet "Dallas". Das wollen sich selbst die jungen Östros nicht entgehen lassen, alleine schon wegen J.R. Ewing. Gut 20 Jahre bevor Anajo sich Doldingers "Ein Fall Für Zwei"-Melodie vornahmen, spielen Östro 430 die beliebte "Dallas"-Melodie auf dem Keyboard nach.
Das vergleichsweise ernste "Triebtäter" beschreibt das jeder Frau bis heute leidlich bekannte Angstgefühl, beim nächtlichen Heimweg verfolgt zu werden. Ein Bedrohungsszenario, das Östro ohne Bezug auf ein konkretes Täterprofil und sogar mit Happy End verarbeiten, wodurch es sich grundlegend von Falcos zwei Jahre später erschienenem Skandal-Hit "Jeanny" unterscheidet.
Die Wiederveröffentlichung dieser Musik ist überfällig und unterstreicht die Vorreiterrolle des Quartetts für explizit weibliche, kluge Texte. Campino bestand darauf, die Liner Notes zur Platte verfassen zu dürfen und erzählt darin, wie er Koljah mit Östro-Songs konfrontierte und dieser sich begeistert von der Aktualität und dem betont lässigen anstatt dogmatisch vorgetragenen Feminismus der Texte zeigte. Die Songs seien voller Slogans, kämen heute noch cool rüber und bewegten sich jenseits jeglicher Biederkeit. Darauf Campino: "Ich wünschte, so ein Statement würde irgendwann einmal jemand über Die Toten Hosen abgeben."
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