laut.de-Kritik
Morbide Digitalität mit James Blake und Anohni.
Review von David HutzelWenn die Menschheit mal im Arsch ist und nur noch die von uns auf Ewigkeiten gefütterten digitalen Maschinen übrig sind, die dann vermutlich noch immer wie Papageien irgendwelche Ergüsse von sich geben: Was finden andere Lebensformen bei ihrer Landung auf der Erde dann von uns, wenn sie archäologisch unsere Geschichte sezieren?
Es kommen Dinge zum Vorschein, die von unserer kapitalistischen Konsumgesellschaft zeugen: Teleskop-Rückenkratzer, Massage- und Heizdecken, Segways. Gut, dass es noch Chronisten wie Oneohtrix Point Never gibt, dessen aktuelles Album uns unsere Lächerlichkeit vor Augen führt, ohne zynisch zu sein.
Denn Oneohtrix, bürgerlich Daniel Lopatin, ist nicht nur ein verdammt feinfühliger Produzent, er besitzt dazu noch eine äußerst präzise Beobachtungsgabe für Eigenheiten seiner Umwelt. "Age Of" entwirft einen Querschnitt durch unsere Zeit (die Zeit der Zeitalterbezeichnungen), indem es einzelne Phänomene aufgreift und musikalisch verarbeitet: von Warnsystemen für künftige Spezies vor Atommüllhalden ("RayCats") bis zum Weiterleben künstlicher Intelligenz nach dem Aussterben des Menschen ("Same").
Lopatin leitet das Album mit einem Jahrhunderte umspannenden Rückblick ein: Der Titeltrack startet mit Cembalo-Klängen, die sich langsam zur Melodie verfestigen, sogleich zerstückelt werden und verhallen, worauf das Stück von Neuem beginnt. Im Prinzip bleibt also erst einmal alles beim Alten, die Stringenz üblicher Songstrukturen sucht man vergeblich. Überraschend: Das folgende "Babylon" erweist sich als gar balladenartiges Eingeständnis der Hassliebe zu New York City - natürlich mit Vocoder-Gesang, aber dafür ebenso mit angedeuteten, gezupften Streichern.
Schon nach diesem zweiten Song zeichnet sich ab, dass der New Yorker auf "Age Of" eine neue Zugänglichkeit entwickelt hat - besonders im Vergleich zum letzten Langspieler "Garden Of Delete". Die bisweilen beißenden, lauten Sounds machten das Album teilweise zur physisch unangenehmen Erfahrung. Bei "Age Of" hingegen will man nun von Beginn an dabeibleiben, es sich gemütlich machen.
Natürlich bleibt "Age Of" stets umwoben von dieser morbiden, tauben Digitalität, die Oneohtrix Point Never immer auszeichnete. "The Station" steht mustergültig für die aktuelle Schaffensperiode. Ursprünglich war die Skizze für Usher gedacht, doch als dieser den Track verschmähte, sang Lopatin kurzerhand selbst und packte noch ein paar unhandliche Bässe und Rewind-Effekte darüber. Einfach wie genial bohrt sich die arg künstliche, vom Sequenzer geflissentlich wiederholte Gitarrenmelodie ins Ohr, die gut und gerne aus der Feder eines Carlos Santana-Androiden stammen könnte.
Auch für "Age Of" suchte sich Lopatin einige Kollaborationen weise aus. Da wäre zuerst natürlich Anohni zu nennen, deren erschütternde Stimme in "Same" im Mittelpunkt steht. Sie singt aus der Perspektive eines spirituellen Zwischenwesens - einer ihr auf den Leib geschneiderten Rolle - eine Art KI mit menschlichem Antlitz, die nach der Rettung aus dem ewigen Leben des Prozessors fleht: "Undo us (...) Fool to dream / machine to dust".
In "We'll Take It" gesellt sich dann James Blake zur Runde, der das Album überdies auch abmischte. Die Keyboards soll er dort spielen, die hier aber schön in den Hintergrund treten ob des leiernden Geknarzes, das sich anhört wie ein überdrehtes Fließband in den heiligen Ford-Hallen, während gepitchte Stimmen über einen Autokauf verhandeln: "I reckon you're interested in a vehicle (...) We'll take it / honey, we don't even know what the price is". Kapitalismus könnte eben so schön sein, wenn es doch nur nicht schon so spät wäre.
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"Schon nach diesem zweiten Song zeichnet sich ab, dass der New Yorker auf "Age Of" eine neue Zugänglichkeit entwickelt hat - besonders im Vergleich zum letzten Langspieler "Garden Of Delete". Die bisweilen beißenden, lauten Sounds machten das Album teilweise zur physisch unangenehmen Erfahrung. Bei "Age Of" hingegen will man nun von Beginn an dabeibleiben, es sich gemütlich machen."
Gerade der Punkt, warum ich bei der neuen Platte ausgestiegen bin. Oneohtrix Point Never war auf "Replica" und "R Plus Seven" seiner Zeit deutlich voraus. Seit "Garden Of Delete", die trotzdem noch mit so einigen interessanten verschachtelten Sounds glänzte, passt Daniel Lopatin sich jedoch zu sehr zeitgeistigen und mainstreamigen Klängen an. Dadurch geht meiner Meinung nach ein Stück weit die Einzigartigkeit dieses Projektes verloren.