laut.de-Kritik

Ausgelutschter als Till Lindemann.

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Drei Jahrzehnte lang war im Oomphiversum alles schick, doch dann fand Sänger Dero Goi zu Jesus Christus und verteufelte (höhöhö!) von nun an seine alten Texte. Wie wenig er von dessen Lehren allerdings verstanden hat, zeigten seine darauf folgenden Aktionen und sein Abdriften ins Schwurblertum, bei dem er keine der üblichen Stationen ausließ. Das volle Programm mit rechten Verschwörungstheorien, Hass auf LGBTQIA+, Klimawandelleugnung und so weiter. Um Oomph! irgendwie noch zu retten, blieb Carp und Robert Flux nur noch eine Möglichkeit: Im September 2021 erfolgte die Trennung von ihrem Aushängeschild Dero. Sie blieben zu zweit auf wackeligen Beinen zurück.

Immerhin hatten sie noch ihren Namen und ihre Geschichte. Ihren Stellenwert als Pioniere der Neuen Deutschen Härte. Ohne Oomph! kein Rammstein, ohne Oomph! keine "Bayreuth"-Trilogie von Joachim Witt, ohne Oomph! kein Unheilig. Die letzten beiden Alben von Nino De Angelo ("Gesegnet Und Verflucht", "Von Ewigkeit Zu Ewigkeit") hätte es in dieser Form nicht gegeben. Was in etwa auch zeigt, wo sich die NDH im Jahr 2023 befindet: irgendwo zwischen Shelby Lynn, Peniskanone und Schlager. Ein Genre, ausgelutschter als Till Lindemann.

Fasst man all dies auf so kurzem Platz zusammen, könnte man denken, die Welt wäre ohne Oomph! ein besserer Ort. Aber was kann man schon für die eigenen Epigon:innen?

Nach langer Ungewissheit präsentierte das zurückgeblieben Duo mit Daniel "Der Schulz" Schulz von Unzucht einen neuen Frontmann. Der verfügt zwar über ein dem Deros nicht unähnliches Timbre, aber auch über das Charisma eines Schlachters. Passend, da dies auch der Jobbeschreibung seiner neuen Arbeitsstelle recht nahe kommt: Soll am besten abseits der Bevölkerung stattfinden, wollen nur Leute mit speziellen Interessen sehen, aber irgendwer muss es ja machen.

In solchen Momenten haben viele Bands schon ihre vielleicht nicht besten, aber interessantesten Werke veröffentlicht. Verletzlich tasten sie sich auf der Suche nach einem neuen Weg voran. Oomph! gelingt mit "Richter Und Henker" weder das eine, noch das andere. Die neue Besetzung am Mikro fällt schon explizit genug aus. Mehr trauen sie den Fans nicht zu und gehen ansonsten auf Nummer Sicher. Der Unterschied zu "Ritual" fällt marginal aus. Verständlich, aber auch langweilig.

"Wem Die Stunde Schlägt" thematisiert überdramatisiert die alte "Unkraut vergeht nicht"-Mär, verbindet diese mit ihrem eigenen Comeback. "Wem die Stunde schlägt, sollte berеit sein / Erst wenn nichts mehr gеht, wird es vorbei sein / Totgesagt, doch stehen noch / Verdammt, wir leben immer noch", singt Der Schulz voller Inbrunst. Mit dem Hintergedanken, dass er als neues Mitglied nie zu diesen Totgesagten gehörte, wirkt das schon etwas seltsam.

Der Titeltrack will unheimlich viel aussagen, sagt aber nichts. Stattdessen scheitert er am eigenen Können. Einerseits kann man in ihm eine Kritik an #noafd und deren rechten Trollen im Internet lesen. Es fällt aber ebenso nicht schwer, den Text aus Schwurblersicht als eine Kritik an all den Schlafschafen zu lesen. Ohne deutlich zu benennen, wen sie eigentlich nun meinen, bleiben Oomph! vage und machen es sich zwischen den Stühlen bequem. Hätten sie geschwiegen, hätten sie genauso viel gesagt. Nur eben leiser.

Man muss schon bis zum Antikriegs-Song "Nur Ein Mensch" warten, um zu erfahren, was sie meinen könnten: "Wir steh'n uns gegenüber / Im Namen der Nation / Brüder töten Brüder / Krieg ist Perversion." Das ist jetzt nicht sonderlich clever, aber zumindest deutlicher. Der Rest des Liedes? Abgetragene "Schramm Schramm Schramm Budum Budum Budumdum / Schramm Schramm Schramm Budum Budum Budumdum"-Bratgitarren, unterlegt mit zünftigem "Bumm Tschak Bumm Tschak". Effektiv und formelhaft wie Bierzeltmusik. Stoßen beide auf das ihnen angestammte Umfeld, geht es rund.

Mit dem Gastauftritt von Joachim Witt wächst im pathosbeladenen "Wut" zusammen, was dringend getrennt gehört. Im Umfeld der momentanen Diskussion um die eine von ihren Nachfolgebands fällt die billige Provokation von "Schrei Nur Schrei" nur dumm aus: "Du weißt genau, was ich jetzt will / Du weißt genau, was ich von dir will / Drum knie dich hin und halte still / Bis ich an dir dann meine Lust still'." Man reiche mir den Kotzeimer, bitte. Wenn Menschen in einem solchen Moment über so wenig Empathie verfügen und einen solchen Text veröffentlichen, ist es nicht die künstliche KI, die mir Angst bereitet.

So fahren Ommph! ihre Chance "Richter Und Henker" krachend an die Wand. Innovation sucht man hier vergebens. Auch mit Der Schulz bleibt nur hausbackene Allerdeutschs-NDH mit beliebigen Arrangements und inhaltsleeren Texten. Oomph! spielen die Hauptrolle in ihrer eigenen Tragödie. Aus den Vorreitern wurde ein weit hinter den eigenen Nachfolger:innen herschlurfender Klon.

Trackliste

  1. 1. Wem Die Stunde Schlägt
  2. 2. Richter Und Henker
  3. 3. Soll Das Liebe Sein?
  4. 4. Nur Ein Mensch
  5. 5. Schrei Nur Schrei
  6. 6. Nichts Wird Mehr Gut
  7. 7. Sag Jetzt Einfach Nichts
  8. 8. Es Ist Nichts, Wie Es Scheint
  9. 9. Wo Die Angst Gewinnt
  10. 10. All Die Jahre
  11. 11. Wut
  12. 12. Ein Kleines Bisschen Glück

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