laut.de-Kritik
Mehr emotionaler Strudel als ein Bad im Selbstmitleid.
Review von Andrea TopinkaZu Zeiten der Französischen Revolution gab Jean-Paul Marat die Zeitung "L'ami du peuple" - übersetzt "Der Volksfreund" - heraus, um dem Widerstand gegen das alte Regime ein gemeinsames Medium zu verleihen. Auch die Indianerin auf Owens Plattencover blättert interessiert in einem Buch mit demselben Namen. Von einem politischen Album ist die siebte Platte des Amerikaners gleichwohl weit entfernt.
Viel mehr setzt Mike Kinsella, der Mann hinter Owen, wie jeher auf die sehr privaten, teilweise sehr düsteren Einblicke in seine Gefühlswelt. Zum Bad im Selbstmitleid verkommt die Platte zum Glück nicht: Sie lässt den Hörer stattdessen tief in einen emotionalen Strudel eintauchen, so wie es selten Künstlern dieses Schlages gelingt - ohne auf billige Herzschmerz-Klischees zurückzugreifen.
Für den Opener "I Got High" schmiedet der 36-Jährige aus Schulvokabular ("art teacher", "history teacher", "curriculum") eine von Akustikgitarre getragene Meditation über die Vergänglichkeit. Die tranceartige Stimmung zwischen Depression und Hoffnung, Fiebertraum und Realität trägt er auch über den Rest der Platte weiter. Und beschwört unweigerlich einen Vergleich auf: Bright Eyes vor gut 10 Jahren.
Kinsellas Biografie liest sich zudem ganz ähnlich wie die von Conor Oberst: Zahlreiche Bandprojekte mit Familienmitgliedern, Freunden und Label-Bekanntschaften, eine feste Songwritergröße in seiner Heimatstadt Chicago, eine gewisse Wortgewandheit, die es ihm ermöglicht, vermeintlich ausgelutschte Themen wie Drogen und ihre Wirkung interessant zu erzählen.
Das einzige Problem mit dem Owen zu kämpfen hat: in Sachen Weiterentwicklung happerts. Denn auch auf seinem siebten Album probiert er kaum etwas aus, was er nicht schon auf den Vorgängern machte. Er dreht sich ein bisschen im Kreis, das aber auf hohem Level.
Für "Who Cares?" trägt Owen zum Beispiel richtig dick auf: Streicher, Chorgesang und desillusionierte Lyrics "Assholes accept fate as predetermined / But I propose our destiny is decided / By a never-ending game of consequences /And I'm too tired to play". Kitschig gerät das Stück aber trotzdem nicht, der Chor verstummt an der richtigen Stelle, die Streicher ebenso.
Die zerbrechliche Seite tritt bei "Bad Blood" dann ein wenig in den Hintergrund, stimmlich und instrumental tritt er hier kraftvoller auf. Das Leben als Außenseiter ("You're better off holding your freak flag high") und zerrüttete Familienverhältnisse über Generationen hinweg("A poor grandfather so painfully shy, he couldn't leave the house without a tall one /A dumb grandmother suffered by his side, she'd rather live in hell than die alone") lassen den Amerikaner in so etwas wie gezügelten Zorn ausbrechen. Man wünscht sich, er würde sich bei dieser Abrechnung etwas mehr freien Lauf lassen, und noch heftiger aufs Schlagzeug hauen.
Insgesamt dominieren Gitarre, Streicher und Drums das Album, ganz selten wagt sich der Musiker mal an ein wenig künstliche Klänge ("The Burial"). Mit den fließend ineinander übergehenden "Where Do I Begin?" und "Vivid Dream" bringt Mike Kinsella die Platte unter einfacher Gitarren- und Piano-Begleitung zu Ende. Er entlässt seine Hörer optimistisch mit einer Liebeserklärung an seine Familie.
So schließt sich auf "L'ami du peuple" zugleich der Kreis, beginnend in seiner Schulzeit bis hin zu den eigenen Kindern. Eingelullt von sanften Melodien wird man sanft auds dieser Story entlassen.
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