laut.de-Kritik
Die Musique, die immer so schön geprickelt 'at in meine Ge'örgang.
Review von Martin TenschertAls Autofan träumt man oft vom perfekten Wagen: Cabrio, Familienkutsche, Sportler und Allradler sollte er mindestens sein, Interieur vom feinsten, aber bitte mit vielen Ablagemöglichkeiten. Wenn man analog an Techno-Acts denkt, die derart viele Attribute miteinander vereinen, so fällt mir zumindest direkt Olivier Raymond, besser bekannt als Oxia, ein. Ein Tausendsassa auf dem Gebiet der elektronischen Musik.
Seine Beats liegen in der Spur wie ein Ferrari auf der Straße. Die Arrangements haben Raum wie ein Renault Espace und seine Basslines bollern wie ein Chevy-Big Block. Releases wie die legendäre "Speicher" auf Kompakt und anderen namhaften Labels verzückten nicht nur die DJ-Welt, sondern auch dezidierte Techno-Gegner, was nun wirklich einem Ritterschlag gleich kommt. Oliviers musikalischer Anspruch und kontinuierliche Weiterentwicklung zeichneten ihn aus. In Frankreich dürfte demzufolge also bald der "Chevalier des Arts Et des Lettres" dran sein.
Hin oder her, Kunst braucht keine Orden, denn "Tides Of Mind" ist fast durchgängig "das" Album, wie man es sich wünscht. Sanfte Töne, chillig und doch zum Hinhören ("Premiss"), Sommerliches vom House ("Flying Over Time") bis hin zu dubbigem, deepem Techno ("Nightfall") spannt sich der Bogen des Longplayers. Ein hochkarätiger Gesangsgast hat sich ebenfalls eingefunden, und zwar Caroline Hervé alias Miss Kittin. Sie gibt dem sexy Track "Housewife" mit rauchiger Stimme die Sporen. Hervé kommt wie Oxia Olivier aus Grenoble, man kennt sich von der Résistance de l'Underground. Dementsprechend hochwertig ist auch das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ausgefallen.
"Tides Of Mind" präsentiert sich modern und feingeistig, melodiös und spacig: Die Musique, die immer so schön geprickelt 'at in meine Ge'örgang. So sehr man sich auch anstrengt, Schwächen auszumachen, man findet keine. "Rue Brusherie" etwa schickt sich an, die Nachfolge des Minimal-Klassikers "Beau Mot Plage" von Isolée anzutreten. Sommerliche Nonchalance wohnt den Tracks inne und macht sie zu unaufdringlichen, aber stets präsenten Begleitern bei unterschiedlichsten Anlässen. Die Herren von Airwären sicherlich stolz darauf, ein Stück wie "Sway" geschrieben zu haben. In diesem Fall war Herr Raymond jedoch schneller.
Spitzenalbum, keine Frage. Jetzt also nur noch dieses Alles-In-Einem-Auto finden, um darin "Tides Of Mind" in Dauerschleife zu hören. Man muss es aber auch nicht übertreiben.
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