laut.de-Kritik

Vom Selbstmord-Soundtrack zu Schlager-Vibes.

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In der medialen Berichterstattung über Selbsttötungen hat sich vor einigen Jahren der abschließende Verweis auf die Telefonseelsorge etabliert. Zu tief sitzt die Angst vor dem Werther-Effekt, demnach allzu detaillierte Schilderungen die Suizidrate nach oben schrauben. Die künstlerische Verarbeitung des Themas erlaubt naturgemäß zwar größere Beinfreiheit, dennoch löst Perverz ein beklemmendes Gefühl aus, wenn er "Mein Kopf Zerplatzt 3" unumwunden zum Selbstmord-Soundtrack erhebt: "Die Sonne geht auf, ich begeh' Suizid. Was mir bis jetzt gefehlt hat, war dazu die Musik."

"Suizid" setzt das Ende an den Anfang. Wie ernst der Rapper das Thema nimmt, verdeutlicht er damit, dass er im Gegensatz zu seinen Kollegen von Hirntot Records keine Freude daran zu finden scheint, sich an martialischen Methoden abzuarbeiten. Perverz interessiert sich eher für die Begleitumstände: "Einer macht's ganz allein, einer nimmt ein paar mit, einer war dabei high, viele waren's leider nicht." Die unterlegten obligatorischen Streicher vermitteln nichts Weinerliches, sondern drücken viel mehr die Entschlossenheit des Vortragenden aus.

"Walking Dead" behandelt das Dasein als wandelnder Toter, wobei wie in der gleichnamigen Serie nicht immer sicher ist, bei wem es sich um den eigentlichen Untoten handelt. Das Piano mag sich bedächtig durch das Instrumental bewegen, doch die zuckende Hi-Hat verrät das Leben unter der abwesenden Oberfläche. "Zombie" knüpft inhaltlich daran an, überrascht jedoch mit einem positiven Flair. Das liegt vor allem an Perverz' Gesangsfreude. Wenn er durch den Beat schlendert, als imitiere er Falco am Karaoke-Abend, kann der vermeintliche Wiedergänger seinen Spaß nicht verbergen.

Zum regelrechten Pop-Song mutiert "Ohne Dich", der in seiner Hingabe an die Liebste auch nicht vor kitschigen Bildern zurückschreckt ("Pinguin-Level 100"). Als sympathischer Ausreißer aus dem herrschenden Weltschmerz offenbart das Stück mehr Lebensfreude, als Perverz sonst zuzugeben bereit ist. "Cloud" wiederum kombiniert Trübsinn mit einem überspannten Kitsch-Bogen. Wie im Zeichentrick begleitet eine Regenwolke den Nürnberger Rapper. Dazu schielt das Instrumental auf die Feuerzeuge, die in ferner Zukunft die Live-Auftritte erhellen mögen.

"Cloud" spricht sich aber auch dafür aus, sich mit seelischen Gebrechen zu arrangieren: "Ich mach's, weil ich's muss. Ich halt' es halt aus." Dieser pragmatische Umgang gibt ihm nicht nur ein Stück weit die Kontrolle zurück, sondern eröffnet auch Raum für Humor. In "Oxycodon" behandelt Perverz seine mannigfaltigen Süchte, indem er für den Refrain "She Drives Me Crazy" der Fine Young Cannibals covert. Ohne gleich in die Verherrlichung abzudriften, begegnet er auf diese Weise einem ernsten Thema mit einem gewinnenden Augenzwinkern.

Auch "Borderline" greift die Grenzerfahrungen der Medikamenten- und Drogensucht auf. Obwohl die damit einhergehenden Stimmungsschwankungen dazu einladen, musikalisch mehr zu wagen, setzt er bedauerlicherweise gänzlich auf ein Trap-Instrumental mit Beerdigungsstimmung. "Doppelleben" verspielt die Chance in gleicher Weise. "Ich bin von Gewalt besessen und hab' Angst vor meinem Schatten", bringt Perverz seine Zerrissenheit textlich auf den Punkt, ohne einen Weg zu finden, sie auch im Sound abzubilden.

Im Wissen darum, seiner Umgebung einiges zuzumuten, platziert er mit "Upgefuckt" zum Ende eine Danksagung an die Ehefrau: "Upgefuckt, wach in der Nacht, gibt nur eine, die das mitmacht." Dazu steigert sich der Rapper in regelrechte Schlager-Vibes rein. So überzeugt "Mein Kopf Zerplatzt 3" nicht nur als persönliches Album, sondern als für Hirntot-Verhältnisse überraschend anschlussfähig an den Mainstream. "Vielleicht noch nicht das beste Album, zu dem ich im Stande bin, aber für den Moment schon verdammt nah dran", schätzt Perverz es selbst ein. Das ließe sich so unterschreiben.

Trackliste

  1. 1. Suizid
  2. 2. Walking Dead
  3. 3. Zombie
  4. 4. Tanzen
  5. 5. Ohne Dich
  6. 6. 666
  7. 7. Borderline
  8. 8. Cloud
  9. 9. Doppelleben
  10. 10. Oxycodon
  11. 11. Aufgewacht
  12. 12. Upgefuckt
  13. 13. After Life

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