laut.de-Kritik
Melodie trifft Macker. So muss das sein!
Review von Ulf KubankeDer konsequenteste Indie-Pionier unseres Landes hat mit "Boaphenia" oder "Copperfield" goßen Pop für die Ewigkeit erschaffen. Zudem ein paar veritable Hits ("Container Love", "Love On Sale", "And Then She Kissed Her", "I Dedicate My Soul To You") und eine Menge internationalen Lorbeer geerntet.
Dazu gab es mit "Loyalty" vor zwei Jahren ein herausragend elegantes Ausrufezeichen. Doch alles kein Grund für den nimmermüden Pop-Partisanen, sich auf derlei Meriten auszuruhen. Im Gegenteil: Die neue Platte "Bleach House" rockt sich mit frischem Sound, krachender Wut und sanfter Zärtlichkeit durch Mark und Bein geradewegs ins Herz des Hörers.
Es gibt allzu viele 80ies-Relikte, deren Uraltmasche nur noch den musikalischen Drittaufguss für den Alternative-Seniorenstift bietet. Boa ist aus anderem Holz. Ganz und gar anderem! In kreativer Hinsicht gehört er stets zur Front der Inspirierten. Seine Stärken liegen in der nimmermüden Neugier, dem passenden Gespür bei der Auswahl leidenschaftlicher Musiker und einem ausgeprägten Gefühl für musikalische Kontraste.
Boa dazu: "Ich sehe meine Songs beim Komponieren so plastisch, wie kleine Kinofilme. Jeder einzelne ergäbe womöglich ein gutes Video. Und dann merke ich: Hier passiert soviel Bizarres und im Kern auch Schönes. Das kann man mit Bildern gar nicht ausdrücken. Dieses visuelle Grundgefühl übertrage ich auf die Klänge meiner Musik."
Das aktuelle Studiowerk macht da keine Ausnahme. Kein Wunder also, dass man angefixt an der Plattennadel im "Bleach House" sitzt, sobald die ersten Noten aus den Lautsprechern rollen. Alles ist mal wieder anders und dennoch – oder besser: deswegen – absolut Boa typisch! Der Voodooclub liefert herrlich ineinander geschachtelte Arrangements, die in tausend elementaren Farben schimmern. Dabei dermaßen ästhetisch festgezurrt, dass die Musik keinen Moment lang überladen wirkt.
Die augenfälligste Veränderung ist sicherlich der Ausstieg von Pia Lund Ende letzten Jahres. Doch Boa weiß: Veränderung bedeutet Herausforderung. Es wäre ihm ohnehin ein Gräuel, seinen Voodooclub als ewig berechenbares Musikklischee analog AC/DC oder Bad Religion zu programmieren. Der Mann aus Malta wäre längst im Koma versunken. Sein Naturell liegt philosophisch ohnehin eher bei anderen großen Freigeistern, wie etwa Miles Davis, für den es gleichsam keine größere Langeweile geben konnte, als sich künstlerisch zu wiederholen.
So nutzt Boa den Bruch gleich als willkommenen Neuanfang. Die "Neue im Boot" hört auf den bei "Blade Runner" entlehnten Künstlernamen Pris und fügt sich perfekt in die Struktur der Platte ein. Die Rolle ist ähnlich wie jene von Pia. Pris ist das stimmliche Balsam aller Nischen, die sich um Boas bewusst schroffen Gesang auftun.
Boa: "Es ist nicht Pia. Aber wir haben sehr lange nach jemandem gesucht, der ähnlich singt. Endlich haben wir sie gefunden und auch schon ein paar Konzerte gemeinsam gegeben. Pia hat die Band ja bereits letztes Jahr verlassen. Also haben wir dieses Ereignis gleich als Neustart genutzt. Natürlich klingt die neue Sängerin ein wenig wie Pia. Sie soll ja Boa-Songs singen. Dennoch hört man ihren eigenen Stil heraus." Ebenso wie Lund, führt Pris spielend das gute alte Boa-Markenzeichen eines eigentümlich harmonischen Beauty & The Beast-Kontrasts in musikalischer Kontinuität fort.
Auch die Songs selbst haben ein ganz eigenes Gesicht. War ihr Antlitz auf "Loyalty" noch eher britisch und poppig, so ist hier vieles eine ordentliche Kante räudiger und härter. Ein Stück wie "Icons Of Anarchy" etwa gibt als American Punk angehauchter Wutklumpen ein zorniges Ausrufezeichen. Zwei mal gehört und man wird den Ohrwurm dieses Refrains drei Tage nicht los. Melodie trifft Macker. So muss das sein!
Es gibt auch einen neuen Producer. Die Produktion klingt auf "Bleach House" mehr nach 'international Indierock' und etwas weniger vordergründig nach den alten 'international Voodooclubbern'. Doch genau dieser Ansatz macht die Boa eigenen Voodoo-Gewürze noch ästhetischer. Boa wird mit den Jahren subtiler. Inmitten des entfesselt rockenden Strudels zickt hie ein Saxofon jazzig groovy und dort ein ekstatischer Bass. Aber es gewinnt nur, wer gut zuhören kann. Keine Entmündigung des Publikums durch Unterforderung!
Den Oscar für die beste Nebenrollen ergattern sich dieses Mal zweifellos die Gitarren. Trotz der gelegentlich etwas härteren Gangart bleibt der Grundton angenehm warm und der Sound erfrischend variabel. Die Arbeit mit den Äxten teilt sich Boa mit dem kongenialen Saitenhexer Oli Klemm, der als eine Hälfte des nicht minder grandiosen Krautrock-Duos Sankt Otten kürzlich erst deren "Messias Maschine" entscheidend prägte.
Alle zusammen eilen sie nun von einem Klopper zum nächsten. All Killer, no fucking Filler, Baby! Der Anspeltipp "Überblendung" etwa glänzt als sehr köterhafter High-Speed-Track, bei dem ufo-artige Synthies wie ein Notengeschwür durch die Gitarrenkruste brechen. Über allem ein ungewohnter, sehr songdienlicher Hauch von Ska.
Und immer wieder diese Lyrics! Egal ob grimmiger Zorn, surreale Zeilen oder Liebe. Boa verpackt alles, was es zu sagen gilt, in poetische, mitunter nahezu Dali-eske Gedankengänge, die im Ergebnis gelegentlich rätselhaft klingen. Egal ob beim Titelstück, "Down With The Protocols" oder "Standing Blinded". Wer sich auf textliche Erkundungsreise begibt, wird belohnt. Humor und Selbstironie Boas inklusive.
Trotz all dieser unbändigen Energie: Boas romantische Seite kommt nicht zu kurz. Mal melancholisch im Grundton, dann wieder dezent optimistisch. Dabei transportiert er immer maximales Gefühl im Verhältnis zu null Prozent Kitsch. Keine Reissbrettgefühle gibt es zu hören. Dafür volle Möhre Emotion mit Scheitern, Triumph und Passion. So hört maan den Musikern den kreativen Spaß an der eigenen Platte in jeder Sekunde an.
Echter dramaturgischer Gipfel: Das Herzstück "Chronicles Of The Heartbroken", ein Arrangement aus dem Lehrbuch des Pop mit zärtlich kummervollen Vocals. Zur Grundierung reicht ein feuriger und dabei minimalistischer Dialog der Gitarre mit den Drums. Als hauchdünner Kokon fungieren ein paar Saxofone. Mittendrin eine einsame Schlangen-Tröte als Auge jenes sanften Sturms, in dem das schöne Lied ausklingt.
So macht es hier von A bis Z Laune, Boa als perfekten Entertainer und unermüdlichen Krieger gegen oberflächliche Kunst zu erleben. "Bleach House" hievt sich verdientermaßen selbst spielend ins "House Of Lords" des heimischen CD-Regals.
5 Kommentare mit einer Antwort
und wie so keine 5/5? wenn man die Box mit der Bonus CD betrachtet, bleibt nichts anderes übrig als volle Punktzahl zu vergebebn!
LOYALTY war schon stark, aber BLEACH HOUSE topt den Vorgänger noch *****
weil mir a) die box nicht vorlag und b) so ein evergreen wie "and then she kissed her" dem ersten eindruck nach fehlt. aber punkte sind eh nur schall und rauch der jeweiligen momentaufnahme. der text spricht bände.
laut.de ist auch nicht mehr das, was es mal war. das liest sich wie eine kopie der pressetexte für das album und nicht wie eine plattenkritik...
Wenn mir die Texte nicht manchmal so grenzdebil vorkommen würden, könnte ich den bestimmt auch klasse finden. So schüttelt es mich dann manchmal gerade in den Momenten, in denen mich die Musik eigentlich am meisten begeistert. Schade drum.
aber irgendwie is' es auf englisch erträglicher.
Stell Dir mal vor, Du verstehst jedes Wort sofort und ohne groß drauf zu achten....