laut.de-Kritik

Die Essenz des Alten und die Orientierungslosigkeit des Neuen.

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Oktober 1969 – mühselige Monate liegen hinter Roger Waters, David Gilmour, Richard Wright und Nick Mason. Während der Arbeiten an ihrer zweiten Langspielplatte "A Saucerful Of Secrets" trennen sich Pink Floyd vom Fronter Syd Barrett. Ausufernde Drogenprobleme, drohender Realitätsverlust, Ausfälle vor Konzerten – ein Balanceakt, dem seine Mitstreiter nicht länger standhalten können. Ohne den einstigen Vordenker ist zunächst jedoch unklar, welchen Pfad die blutjunge Psychedelic-Rock-Truppe nun einschreiten soll. Denn komplexe Meilensteine wie "The Dark Side Of The Moon" und "Wish You Were Here" liegen in ferner Zukunft, die ausschweifenden Waters/Gilmour-Machtkämpfe späterer Jahrzehnte ebenso.

Statt musikalisch an "The Piper At The Gates Of Dawn" und "A Saucerful Of Secrets" anzuknüpfen, lässt sich das Quartett zunächst treiben. Dem fragmentarischen (und bisweilen Hard-Rock-lastigen) Soundtrack-Album "More" soll dann mit "Ummagumma" der letzte Kraftakt vor dem musikalischen Befreiungsschlag der 70er Jahre folgen. Eine Platte, die bis heute als maßgebliches Referenzwerk der frühen Pink Floyd gilt.

Juni 2016 – mühselige Monate liegen hinter James Guthrie. Nachdem Pink Floyd den britischen Toningenieur 1978 im zarten Alter von 24 Jahren zu den Aufnahmen des Jahrhundertalbums "The Wall" ins Studio zitieren, weicht er der Band fortan nicht mehr von der Seite. Nach dem überraschenden Nachwehen "The Endless River" im Jahr 2014 ist es dann an Guthrie, die Zeiger erneut auf null zu drehen. Gemeinsam mit seinem Assistenten Joel Plante und dem Analog-Experten Bernie Grundman, der bereits für Jacko und Prince an den Reglern saß, widmet er sich einem ausführlichen Remastering der ersten vier Floyd-Platten – ein farbenfrohes Quartett, in dem "Ummagumma" eine Sonderstellung einnimmt.

Der Kultfaktor des 1969 erschienen Doppel-Vinyls ist bis heute unbestritten, die musikalische Ambivalenz der beiden Albumhälften allerdings auch. Digitale Remasters erfuhren beide zur Genüge, alleine an der avantgardistische Studioseite wurde zuletzt im Jahre 2011 im Rahmen der "Why Pink Floyd ...?"-Kampagne herumgedoktert. Als Herzstück des Releases gilt aber seit jeher die Liveaufnahme der ersten Hälfte, die die bis dahin ausdrucksstärksten vier Floyd-Songs versammelt.

Ausufernde Longtracks wie "Careful With That Axe, Eugene" und "A Saucerful Of Secrets" umfließen so ziemlich jedes experimentelle Rock-Subgenre der späten 1960er – und stehen damit exemplarisch für die frühe Floyd-Magie. Dabei hatte die Gruppe damals noch nicht einmal Synthesizer wie den später innig geliebten VSC-3 mit ins Flightcase gepackt. Stattdessen erarbeiten insbesondere Gilmour und Wright Sounds, an deren Eigenständigkeit sich manch zeitgenössische Post-Rock-Band bis heute die Zähne ausbeißt. Ein analoges Binson-Echorec-Delay auf Gitarre und Farfisa-Orgel hat eben schon etwas für sich. Das aktuelle Tape-Remaster entlockt "Ummagumma" dabei wahre Space-Rock-Momente – eingespielt zu einer Zeit, als Hawkwind noch nicht einmal ihren Proberaumvertrag unterschrieben hatten.

Wie es klingt, wenn vertontes Freischwimmen sich als künstlerisches Mittel zum Zweck entpuppt, beweist der führerlose Vierer dann in der zweiten Hälfte. Jedem Bandmitglied wird eine halbe LP-Seite eingeräumt, um sich musikalisch auszuleben – und zwar im Alleingang. Konzept und Material finden teils schon auf der "The Man And The Journey"-Tournee im selben Jahr Anwendung. Und bieten leichtes Spiel für Gilmour, der als Multiinstrumentalist mit "The Narrow Way" Anschluss an den gewohnten Psychedelic-Rock-Sound sucht. Gelegen kommt die Vorgehensweise auch dem noch nicht megalomanisch anmutenden Vordenker Waters, der sich mit "Several Species Of Small Furry Animals Gathered Together In A Cave And Grooving With A Pict" animalischen Soundcollagen hingibt.

Schwierig hat es hingegen Drummer Nick Mason, dessen Flöten-Percussion-Rausschmeißer "The Grand Vizier's Garden Party" den Gesamteindruck eines Hördurchlaufs doch etwas schmälert. Gerade Keyboarder Rick Wright zeigt sich Jahre nach Release ohnehin nicht mehr zufrieden mit der schwülstigen zweiten Albumhälfte. Tatsächlich legen Masons und seine erschreckend freien Improvisationen – die expressionistischen, zwischen Freigeist und Atonalität schwankenden Klavierwalzen auf "Sysyphus" – aber zugleich einen wichtigen Grundstein für den Progressive Rock der 70er Jahre – gemeinsam mit dem zwei Wochen zuvor alle Ketten sprengenden King Crimson-Debüt (vgl. "Moonchild").

"Ummagumma" ist die Essenz des Alten und die Orientierungslosigkeit des Neuen. "Ummagumma" ist Umbruch. Denn wahres Neuland betreten Pink Floyd dann erst mit Beginn des neuen Jahrzehnts, das sie mit einer weiteren Reihe richtungsweisender Tonträger wie "Atom Heart Mother" und "Meddle" einleiten. Alben, derer sich Guthrie und Co. mit der nächsten Remastering-Welle annehmen werden.

Die Vinyl-Re-Releases zu "Ummagumma", "The Piper At The Gates Of Dawn", "A Saucerful Of Secrets" und "More" erscheinen – im Gegensatz zu einigen älteren Auflagen – mit Hochglanz-Artwork, letztere zudem als Gatefold-Cover. Das 180-Gramm-Vinyl kommt in schlichten schwarzen Sleeves. Alle Alben erscheinen erstmals unter dem Banner Pink Floyd Records, die Labels schmücken jedoch nach wie vor die Logos von Columbia und Harvest Records.

Trackliste

  1. 1. Astronomy Domine (Live)
  2. 2. Careful With That Axe, Eugene (Live)
  3. 3. Set The Controls For The Heart Of The Sun (Live)
  4. 4. A Saucerful Of Secrets (Live)
  5. 5. Sysyphus (Part 1)
  6. 6. Sysyphus (Part 2)
  7. 7. Sysyphus (Part 3)
  8. 8. Sysyphus (Part 4)
  9. 9. Grantchester Meadows
  10. 10. Several Species Of Small Furry Animals Gathered Together In A Cave And Grooving With A Pict
  11. 11. The Narrow Way (Part 1)
  12. 12. The Narrow Way (Part 2)
  13. 13. The Narrow Way (Part 3)
  14. 14. The Grand Vizier's Garden Party (Part 1: Entrance)
  15. 15. The Grand Vizier's Garden Party (Part 2: Entertainment)
  16. 16. The Grand Vizier's Garden Party (Part 3: Exit)

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