laut.de-Kritik
Sie ist ein verspieltes kleines Mädchen, aber sie meint es ernst.
Review von Pascal Jürgens>>Hm. Sieht komisch aus. Was ist das? >>Ein Ingwer-Chilli-Karamell-Zitronen-Minz-Bonbon. Probier mal. >>Tss. Ich drehe das seltsame Gebilde in meinen Fingern. >>Was soll's. Gulp.
Hilfe. Meine Geschmacksnerven verabschieden sich mit einem lauten Knall, mir wird farbig vor Augen und ich geh zu Boden. So hört sich Pinks zweites Album an. Näher beschreiben geht kaum. Wie die Platte jetzt klingt? Ok: Pink klingt wie Aerosmith, Garbage, Alanis Morissette, Pink, Natalie Imbruglia, ein Stückchen Lady Marmelade, mit Einflüssen von Blues, 90'er Alternative, Dance, R'n'B. Ist euch damit jetzt geholfen? Nein. Eben.
Also der detaillierte Ansatz. Zuerst vergesst mal das ganze R'n'B oder gar Hip Hop-Zeug. Es gibt genau zwei Fäden, die sich durch "Missundaztood" ziehen. Das sind erstens die Texte, dazu später, und zweitens: Eine post-pubertäre Retro Rock-Attitüde. Ganz wie die Lady selbst bekannt gibt: Sie wollte mehr Rock-Elemente auf der Platte. Ok, zugegeben, das schafft sie schon. Aber man hat den Eindruck, dass sie sich vor dem großen, bösen Rock fürchtet. Statt dessen schleicht Pink wie die Katze um den heißen Brei herum, durch sämmtliche den Rock umgebenden Randgebiete. Konsequent inkonsequent ist kein Song wie der andere. Um das Ganze in den Griff zu bekommen, machen wir es mal so: [1] bedeutet: Erster Track, ok?
Beginnen wir unsere Safari durch den stilistischen Dschungel. Durch weite, kahle, nur von einem minimalistischen Beat samt Akustik-Gitarre geschmückte Ebenen [1] in die melodischen Hügel eines Vorgebirges. Angeregt von den üppigeren 80er Gitarren der Hooklines wachsen dichte Soundgebilde aus Riff-Pflanzen und Beat-gebüsch. Höher und höher windet sich der Pfad, regelmäßige Vorkommen von Rhythmus-Instrumenten und offenem, lautem Gesang erzeugen eine morissette Stimmung [3]. Dahinter erschreckt ein Wald voller Garbage [4] den unvorbereiteten Wanderer, der sich kurze Zeit später schon wieder in flachen Gefilden befindet.
Nur der von einigen verstreuten Propellerheads erzeugte Orgel-Wind verhindert, dass die herum tobenden Rap-Offsprings (à la pretty fly) sich einsam fühlen [5]. Just wenn man sich zu langweilen beginnt, führt der Weg zurück über die Alanis-Höhen [6] ins Tal der Trauer, wo die Marmeladen-Frau wohnt, die mit spärlichen Beats aufwartet. Gedoppelte Stimmchen klagen zu Streichern, sehr tragisch [7]. Weiter schleppt sich die gequälte Seele, doch erhält sie unerwartet Beistand von Steven Tyler himself (Aerosmith), der einen Abstecher in den Blues-See [8] vorschlägt. Endlich, nachdem wir die Idee vor lauter Schwimmen schon wieder fast in Frage stellen kommt Land in Sicht:
Es ist Imbrugliaen [9], nett anzusehen, aber aus Plastik und auf Dauer nichts Besonderes. Voller Trennungsschmerz und Herzblut machen wir uns auf die downtempo-Weiterreise [10], [11]. Erst als wir einen riesigen Fluss erreichen, auf dem man prima mit Booten durch die Stromschnellen fahren kann [12] bessert sich die Stimmung. Zumindest so lange, bis die Boote zerbrechen und uns das Wasser an den Rand einer zu durchquerenden kalifornischen Wüste [13] spült.
Hier herrscht glühende Hitze - "Everybody's dying" - schnellere Bewegungen als Kriechen sind unmöglich. Keyboard, Trompete und Gitarre spielen uns das Lied von Blues und Tod [13], und vergessen dabei nicht den Reggae zu erwähnen. Letzten Endes kommen wir im Land unserer (Alp-) Träume an: Vietnam [14]. Traurige Melodien aus Akustikgitarren geleiten uns bis zum Ende unserer Reise.
Jetzt bleibt nur noch die Frage, ob dieses ganze Wunderland in die Kitsch- oder die Kunstecke gelegt werden darf. Und da kann ich euch beruhigen: Pink meint es ernst. Klar, sie ist manchmal ein verspieltes kleines Mädchen, aber sie meint es ernst. Fast alle Texte sind selbst geschrieben - und in denen geht es anders zu als bei "Kolleginnen" Britney und Co: Nichts mit "Stumpfsinn tritt herein".
Ob es nun ein Text über die streitenden Eltern ist, oder über Pinks verletzte Gefühle: Das Album scheint ehrlich gemeint zu sein. Wer "Once I Fed The Homeless / I'll Never Forget // This Is My Vietnam" schreibt, den kann ich einfach nicht als Plastik-Pop-Party-Ikone abstempeln. Trotzdem: Für Erschütterungen jenseits der Wunder-Pop-Welt reicht diese Anstrengung nicht aus. Muss sie aber auch nicht, dafür gibt es andere Platten.
1 Kommentar
Bin kein riesiger Fan, aber die Scheibe hat meiner Meinung nach einen Meilenstein verdient.