laut.de-Kritik
Feiern mit und gegen den Frust.
Review von Dani Fromm"Ja, kann schon sein, bisschen Rap kann jeder." Manche können es aber ein bisschen besser als andere, und dann gibt es noch diese seltenen Fälle, die, um Überlegenheit zu demonstrieren, nicht zwanzig und mehr Anläufe brauchen, um auf den Punkt zu kommen.
Pöbel MC genügen knappe acht Tracks, um die Brücke zwischen "Stress" und "Raugln" zu schlagen. Das funktioniert vermutlich auch deswegen so gut, weil es sich - anders, als der Ersteindruck suggeriert - gar nicht um Gegensätze handelt, sondern um zwei sich gegenseitig befeuernde Seiten ein und desselben komplexen Geschehens.
Der "Stress" erklärt sich von selbst: Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, den treiben die herrschenden Zustände allzu rasch in diesen Zustand. Aber was ist denn bitte "Raugln"? Der Track gleichen Titels erklärt die Wortschöpfung sinngemäß als eine Flucht vor der hässlichen Realität in Suff und Party. Als "vulgäre Variante des Eskapismus" beschrieb Kollege Dominik Lippe das unlängst. Pöbel MC nennt es, eine Spur weniger gewählt, "rumatzen und gute Laune".
Der Selbstschutz-Mechanismus erscheint wirklich dringend nötig, um sich wenigstens hin und wieder eine Atempause zu gönnen. "Würd' ich mich jeden Tag mit dem Elend dieser Welt befassen, ich hätte keine Kraft mehr, um sie besser zu machen." Um diesen Punkt der Resignation gar nicht erst zu erreichen, haut Pöbel MC insbesondere in der zweiten Hälfte kräftig auf den Putz.
Eindimensional geht es dabei allerdings höchstens in "Polydipsie" zu: Abgesehen davon, dass der Titel den meisten wahrscheinlich eine zuvor unbekannte Vokabel lehrt, handelt es sich doch - wozu es schönreden? - schlicht um einen Sauftrack, ein Hohelied auf den Rausch, wohl bekomms.
Überall sonst gehorcht Pöbel MC der Maxime, die er schon im Eröffnungstrack ausgegeben hat: "Wacke Texte kompensiert auch kein Flavour." Raptechnische Fingerübungen, um mit besonders ausgefeilten Skills anzugeben, spielen eine eher untergeordnete Rolle. Inhalte stehen deutlich über Technik-Gewichse oder Silbenzählerei (was ja auch nur wieder die geschmähte "Würde In Zahlen" wäre).
So richtig hohl geht es entsprechend auch in der (angeblichen) Party-Hälfte der EP nicht zu. "Farbverbrecher\*innen" sind in des Pöbels Augen selbstverständlich nicht nur um Schmierfinken mit Hang zur Polychromie, sondern natürlich auch die subversiven Vollstrecker\*innen der Mission "Rückeroberung des öffentlichen Raums".
Klar handelt es sich bei "Söhnlein Brilliant" um einen Hardbass-Stampfer, der mit Parolen des Kalibers "When passion rules your heart passion is not hard to rule" überdeutlich in allerbester Scooter-Tradition steht. Von der auto-ge-tuneten Jodelei am Anfang sollte man sich nicht täuschen lassen: Es geht hier (zumindest auch) um die zunehmend in Vergessenheit geratene Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten.
"Raugln" tut vordergründig zwar fluffig und melodisch. Statt nur gutgelaunt rumzuatzen, kreidet Pöbel MC seiner Konkurrenz aber einen Mangel an Humor und Selbstironie an. So hält er einer sich selbst bierernst und nicht selten widerlich machohaft in Szene setzenden Sorte Zeitgenossen einen Spiegel vor.
Verglichen mit der ersten EP-Hälfte kratzt all diese Kritik aber nur an der Oberfläche. "Würde In Zahlen" und "Motivierter Schlendrian" nehmen die Fixiertheit auf Klicks und Streamingzahlen, nur aus Marketinggründen praktizierte Moral und die teilweise sehr verschobene Prioritätensetzung mancher Leute aufs Korn. Während die einen Likes zählen und sich um ihren TikTok-Hype sorgen, ersaufen anderswo Menschen im Mittelmeer.
Die verträumte Produktion in "Alman Brothers" täuscht ebenfalls, die darin enthaltene Kritik fällt deutlich weniger sanft aus. Mit "geldgeilen Affen, die sich für unpolitisch halten" geht Pöbel MC schonungslos ins Gericht: "Wer Unrecht duldet, hilft auch mit, es zu erhalten."
"Pumpe Auf Stress" geht - für Pöbel MC jetzt nicht unbedingt typisch - auf persönlicher Ebene ans Eingemachte. "Herz voll Ballast, Hirn voller Hast", Trauer und Verlust, Beziehungsproblematik, Zwang zum Funktionieren-Müssen, Suche nach Bewältigungsstrategien und andauerndes Ringen um Kontrolle: Serviert auf einem düster-gespenstischem Beat gerät dieser Themenmix zu einer beängstigend getriebenen Angelegenheit.
"Krisen machen weise, aber sicherlich nicht glücklich", so Pöbels Fazit daraus. Weil wir aber auch nicht unentwegt unglücklich sein wollen, gehen wir jetzt alle eine Runde raugln, bitte. Wenn danach die Laune wieder gehoben ist (und der Kater vorbei), retten wir Hip Hop, die Gesellschaft und den Planeten vielleicht auch nicht mehr. Aber wir haben wenigstens wieder ein paar Ressourcen, um es aufs Neue zu versuchen.
4 Kommentare mit 21 Antworten
karate andi oder mc bomber für bessermenschen mit richtigen (politischen) einstellungen
ABER: RAUGELN ist ein schönes wort.
Word
würde lieber mit Andi oder Bomber saufen gehen als mit Pöbel MC
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Muss zugeben, dass mich der Name (und die Zugehörigkeit zum Genre Deutschrap) wirklich maximal abgeschreckt und ein Hören seiner Mucke immer verhindert haben. Seit ich durch Alman Brothers massiv positiv überrascht wurde, bin ich heimlich Fan und auch das gesamte Machwerk ist überaus stabil, 4/5 gehen wohl klar.
Mhm, lösch das mal lieber wieder bevor Du diese Woche noch häufiger unbeabsichtigt aus der Rolle fällst!
Wieso aus der Rolle fallen?
Na ja, nicht dass der altersweise Hai noch seinen Biss verliert... obwohl ich ja zugeben muss, dass das Szenario arg unnatürlich wirkt, wahrscheinlich müssen wir einfach nur warten, bis dir die nächste Zahnreihe vollständig nachgewachsen ist.
Für mich ist der grundgute Craze ja immernoch der Ochse, den man am Nasenring herummanegiert af.
Habe da auch mal reingehört, textlich ganz nett, aber insgesamt zu stressig und auch ich habe schon länger nen generellen Deutschrap-Abturn.
Hat stimmlich was von S. Diddy. Mit besserer Botschaft, aber auch mehr Ohrenschmerzenpotential im Vortrag.
Souli keine Sorge, wird nicht passieren. Solange hier Typen wie Mirko oder auch der lautuser rumgeistern, werde ich hier für Recht und Ordnung sorgen.
@lauti: Halt besser die Backen, du Lurch.
Manch einer baut ein Haus, gründet eine Familie oder findet seine Berufung im Job ... der Christian macht den Rausschmeißer in einer Kommentarsektion eines belanglosen Online-Mags.
sein privatleben aus dem weltnetz herauszuhalten scheint mir das klügste zu sein, was man*in machen kann
Nein, es ist super wichtig auf laut.de mit seinem Hochschulabschluss anzugeben.
Angeber ist für mich keine Beleidigung. Man muss seinen Mitmenschen klarmachen, wo Sie stehen und wo man selber steht. Abgesehen davon tue ich das nicht 6 bis 7 mal in der Woche mehrmals täglich.
"Abgesehen davon tue ich das nicht 6 bis 7 mal in der Woche mehrmals täglich. "
Mit diesem Satz machst du schon sehr deutlich, wo du im Vergleich zu durchschnitlichen Menschen stehst.
"Man muss seinen Mitmenschen klarmachen, wo Sie stehen und wo man selber steht."
Warum?
Damit sich beim Einkaufen keiner vordrängelt
"Man muss seinen Mitmenschen klarmachen, wo Sie stehen und wo man selber steht."
Die Sache ist doch ganz klar: Alle sind zusammen regelmäßig auf laut.de. Diese Schnittmenge ist im Hinblick auf die charakterlichen Muster doch schon sehr aussagekräftig.
"Warum?"
Mir ist klar, dass es eine rhetorische Frage ist, aber trotzdem: Natürlich weil es sein Schmalspur-Ego aufpoliert. Wenn er sich hier in - vermeintlicher - Herrscherpose präsentiert, dann tut das halt gut nach einem harten Arbeitstag voller Nackenschläge in der bayrischen Freiberufler-Szene.
Ich habe einen deutschrap abturn, sprach der Lautuser. 5 Minuten später erklang the big baus of the nauf aus den Boxen...und es war einen kurzen Moment lang wieder so so wie früher, damals vor 30 Jahren in eimsbush
Im Basement der Mongoclikke.
Zusammenkommen und zusammen kommen
Deutlich weniger anstrengend als "Bildungsbürgerprolls". Vielleicht auch nur, weils kürzer ist.