laut.de-Kritik
Von Optimismus nach wie vor keine Spur.
Review von Toni HennigDie Kanadier von Viet Cong um Bandkopf Matt Flegel mussten sich nach der Veröffentlichung ihres ersten und einzigen Albums vor drei Jahren aufgrund ihrer Namensgebung heftiger Kritik stellen. Deswegen erfolgte eine Umbenennung in Preoccupations. Ein selbstbetiteltes Debüt erschien im Herbst 2016. Auf ihre bewährte Mischung aus Post-Punk, New Wave und Industrial vertraut die Formation auch auf "New Material". Dennoch klingt die Musik des Vierers aus Calgary mittlerweile fokussierter.
So erweist sich "Espionage" als ein äußerst einprägsamer Opener, der zum Tanz in einer leeren und grauen Fabrikhalle einlädt. Dabei gibt das motorische Drumspiel von Mike Wallace die geradlinige Marschrichtung vor. Multiinstrumentalist Scott Munro erzeugt am Keyboard eine dystopisch-kühle Atmosphäre à la Joy Division zu "Unknown Pleasures"-Zeiten. Die Gitarre von Daniel Christiansen dengelt im Background benommen vor sich hin, und Sänger sowie Bassist Matt Flegel präsentiert sich am Mikro so angriffslustig wie noch nie. Anders als in der Vergangenheit hat sich somit jedes Bandmitglied gleichberechtigt am Songwriting beteiligt. Dadurch offenbaren die Stücke eine besondere Eigendynamik.
Daher erinnern die repetitiven Synthies und das wuchtige Schlagzeug im anschließenden "Decompose" an die maschinelle Strenge von Elektronik und Techno. "Disarray" versprüht dagegen ein melancholisches und waviges Gothic-Flair im 80er-Jahre-Stil. Über eine einfache Songstruktur und eine zwingende Hook verfügen trotzdem die beiden Nummern. Um die Ziellinie zu durchqueren, benötigen sie weniger als viereinhalb Minuten, was bei den zum Teil recht langen, ausufernden Tracks der beiden Vorgänger nicht immer die Regel war.
Ihre Experimentierfreude betonen die Nordamerikaner erst danach, etwa in "Antidote", das zunächst auf anspruchsvolle Polyrhythmen im Stile Talking Heads' auf "Remain In Light" setzt, um zum Schluss Metall auf Metall schlagen zu lassen. Außerdem beklagt Matt Flegel in dem Stück die Entfremdung im Informationszeitalter.
Er beschreibt dieses Werk darüber hinaus als eine Hommage an die "Depression" und die "Selbst-Sabotage". Von Optimismus findet man in seinen persönlichen Zeilen nach wie vor keine Spur. Als Post-Punk-Hörer bekommt man im Grunde genommen lyrisch nicht unbedingt neue Erkenntnisse geboten. Von Isolation, Angst und Wut erzählt die Musik ohnehin von ganz alleine. Letzten Endes dienen die Texte dazu, diese negativen Gefühle zu verstärken und zu intensivieren.
Dies gelingt der Formation am überzeugendsten mit dem Stück "Doubt", das mit seinem hämmernden Drum- und Beatfundament, seinen verwaschenen Gitarrenklängen und der emotionslosen Stimme des Sängers genauso karge und trostlose Bilder vor dem inneren Auge kreiert wie The Cure auf "Faith".
Da wirkt es überaus konsequent, dass die Kanadier im abschließenden "Compliance" gänzlich auf Worte verzichten und einzig die Instrumente für sich sprechen lassen. Nach und nach steigert die Nummer ihre Intensität und mündet in einem zerstörerischen Noise-Finale, das nur noch Staub und Asche hinterlässt. Für die Zukunft der Welt sieht das Quartett wahrscheinlich so gut wie gar keine Hoffnung mehr.
Nichtsdestotrotz weisen Preoccupations mit "New Material" mit eigenständigen rhythmischen Ansätzen die Post-Punk-Konkurrenz in die Schranken. Demgegenüber zitiert die Formation an manchen Stellen gelungen ihre Vorbilder. Wegen der druckvollen Produktion von Justin-Meldal Johnsen, der zuvor für M83 und Wolf Alice an den Reglern saß, verkommt die Scheibe aber nicht zu einer reinen Nostalgieveranstaltung.
Vielmehr greift die Band mit ihren mitreißenden, düsteren Songs die gegenwärtige Endzeitstimmung auf. An Relevanz hat sie deshalb mit ihrem aktuellen Material keineswegs eingebüßt. Nur die Namensgebung für das Album kam bei der ganzen Kreativität, die man in die überaus spannende Platte investiert hat, etwas zu kurz.
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