laut.de-Kritik
Die Achtziger-Ikonen altern in Würde.
Review von Stefan MertlikPretenders-Frontfrau Chrissie Hynde besaß nie die Strahlkraft einer Joan Jett. Dennoch feiert die Band seit vier Dekaden Erfolge. Auf ihrem elften Studio-Album "Hate For Sale" ruhen sich die Briten nicht auf diesen Lorbeeren aus. Die drei orientierungslosen Scheiben der Zweitausender sind vergessen. Denn nun hat das Quartett, inklusive des zurückgekehrten Gründungsmitglieds Martin Chambers, eine Platte aufgenommen, die tatsächlich eine Daseinsberechtigung besitzt.
Die Pretenders hecheln auf "Hate For Sale" weder alten Erfolgsmodellen noch neuen Trends hinterher. Stattdessen spielen sie zeitlose Rockmusik, die Punk, Pop und New Wave verschmelzt, ohne formelhaft zu klingen. "Hate For Sale" wirkt locker. Vor allem James Walbourne ist die Spielfreude anzuhören. In "I Didn't Know When To Stop" und "Junkie Walk" leistet er schweißtreibende Gitarrenarbeit.
Bereits der Titelsong verspricht ein lautes Album. Das Schlagzeug zählt ein, die Gitarren brettern los, eine Mundharmonika sorgt für den groben Bauarbeiter-Charme. Hyndes Wurzeln in Ohio treffen auf die Einflüsse ihrer Wahlheimat London. Irgendetwas mit Punk'n'Roll eben. Dass die Pretenders 2020 eigentlich mit Journey auf Tour gehen wollten, passt nicht. Bands wie The Last Internationale scheinen die besseren Geschwister im Geiste zu sein.
Die Pianoballade "Crying In Public" oder der Steh-Blues "You Can't Hurt A Fool" drosseln dann doch noch das Tempo. "Lightning Man" treibt es mit einem entspannten Dub-Anstrich auf die Spitze. Die Achtziger-Phase der Band spiegelt der Synthesizer in "Turf Accountant Daddy" wider. All diese Elemente setzt die Band behutsam ein. Was auf dem Papier nach stillosem Mischmasch klingt, passt auf der Platte hervorragend zusammen.
Pinsel statt Vorschlaghammer: The Pretenders gehen behutsam mit ihren Qualitäten um. Ihr Händchen für eingängige Melodien verstecken sie beispielsweise in Refrains, die sich erst langsam zu Ohrwürmern mausern. Passiert das, gehen Stücke wie die Single-Auskopplung "The Buzz" oder "Maybe Love Is In NYC" runter wie Öl.
"Well I didn't want to be this lonely / Though losing you was a relief", singt Hynde an einer Stelle. Die 68-Jährige erzählt aus einer weiblichen Sicht – und damit aus einer, die in der Rockmusik seltener vertreten wird als die männliche. Hynde tut das nicht nur, weil sie eine Frau ist, sondern weil sie diese Perspektive bewusst einnehmen möchte: "Feminists claim we are all the same / But I don't know a man who felt the same shame."
Aber auch die Schattenseiten des Drogenkonsums greift Hynde in ihren Texten auf. Ein Thema, das die Band seit Beginn begleitet. Mit James Honeyman-Scott und Pete Farndon starben gleich zwei Gründungsmitglieder in den Achtzigerjahren an einer Überdosis. Diese Zeiten haben die Pretenders hinter sich gelassen. Aber zumindest musikalisch knüpfen sie mit "Hate For Sale" noch einmal an die Großtaten dieser Phase an.
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