laut.de-Kritik

Hip Hop als sympathisches und farbenfrohes Chaos.

Review von

"1992" hieß das Mixtape, mit dem sich Destiny Fraqueri im letzten Jahr musikalisch komplett neu definierte. Auf den Erfolg von verschiedenen Singles und Musikvideos reagierend, skizzierte die New Yorkerin etwas, das Makel hatte, einen chaotischen ersten Eindruck einer Marke.

Von der Viralsensation "Tomboy" bis hin zu kleineren Perlen wie "Biohazard Butterfly" steckt zugegebenermaßen auch einiges Lohnenswertes in ihrem verstreuten Katalog. Nur ein klarer roter Faden, eine leicht erklärbare musikalische Diktion, das findet sich bisher nicht. Ein weiteres erfolgreiches Jahr geht ins Land, Princess Nokia spielt Konzerte jenseits des Atlantiks und veröffentlicht das Tape unter dem Namen "1992 Deluxe" mit acht neuen Tracks als Debütalbum neu.

Nun ist die Albumversion zwar um einige Elemente reicher, an Kohärenz mangelt es aber immer noch. Die braucht es allerdings auch gar nicht so dringend, denn trotz aller Ecken und Kanten stellt "1992 Deluxe" ein derart sympathisches und farbenfrohes musikalisches Chaos dar, dass die Schwächen fast schon wieder als eigenwillige Stärken funktionieren.

Als würde man alle Pole zeitgenössischen Hip Hops in die Hände von ambitionierten Bedroom-Producern legen, um dann eine der interessantesten neuen Stimmen der neuen Generation darauf performen zu lassen. Princess Nokia ist ein MC nach der urtypischsten Definition des Begriffs. Ein Master of Ceremony, viel mehr noch ein Crowd Mover. Denn der Sprechgesang dieser jungen Dame überspringt lästige Subgenre- oder Generationsklassifizierungen und kommt ohne Verzug zum Knackpunkt: New York, 1992 bis 2017.

Geschichten vom Aufwachsen als bratziges Skatergirl ("Bart Simpson"), fasziniert von Comics und Goth-Kultur ("Goth") und die Entwicklung zur selbstbewussten Frau dürfte ganz neue Zielgruppen für authentisches, intimes Storytelling abholen und setzt die Rapperin beeindruckend natürlich und nahbar in Szene. Immer mit Liebe und Begeisterung für die Kultur und Vielfalt ihrer Heimatstadt und Verwandtschaft nimmt Nokia sich darüberhinaus auch Themen wie Feminismus und afroamerikanische Identität an.

Insbesondere instrumental springt sie dabei von Sound zu Sound, von Farbpalette zu Farbpalette, geht vom melancholischen NY-BoomBap des Openers in den brachialen 808-Epos "Tomboy", da findet ein Lex Luger-produziertes "Kitana" nur wenige Anspielstationen vor "Green Line" statt, das offensichtlich einige Elemente von lokalen Größen wie DJ Premier oder Pete Rock entlehnt.

Macht nichts, immerhin funktionieren die Songs für sich betrachtet einwandfrei. Seien es die absurd eingängigen und primitiv repetitiven Hooks auf Songs wie "Mine" oder "Kitana", seien es affektierte Flows auf "G.O.A.T." oder "Saggy Denim": Nokia macht aus eigentlich nur durchschnittlichen handwerklichen Mitteln Magie und zeigt Stärken als Lyricist wie als Songwriter.

Für ein Debütalbum also mehr als genug Futter, um das Interesse eines jeden zu wecken, der sich für offenherzige Rapmusik, progressives Denken oder einfach nur coole Musik begeistert. Wohin die Reise für die Handy-Prinzessin noch geht, lässt sich an diesem Punkt kaum sagen. Mit dem entstandenen Buzz dürfte beim nächsten Projekt auch das Produktionsbudget deutlich höher liegen. Und wenn alle Wege offen liegen, wird die Reiseplanung unweigerlich anspruchsvoller. Man darf wohl gespannt sein.

Trackliste

  1. 1. Bart Simpson
  2. 2. Tomboy
  3. 3. Kitana
  4. 4. Brujas
  5. 5. Mine
  6. 6. Excellent
  7. 7. Saggy Denim
  8. 8. Green Line
  9. 9. ABC's Of New York
  10. 10. Goth Kid
  11. 11. Receipts
  12. 12. G.O.A.T.
  13. 13. Brick City
  14. 14. Flava
  15. 15. Different
  16. 16. Chinese Slippers

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