laut.de-Kritik

Eine Verneigung vor Bluegrass-Legende Tony Rice.

Review von

1983 veröffentlichte der Bluegrass-Gitarrist Tony Rice sein viertes Solowerk "Church Street Blues". "Kein Album (oder kein Musiker) hat einen größeren Einfluss auf uns gehabt, und wir hatten das dringende Bedürfnis, es in seiner Gesamtheit zu covern", erklären die Punch Brothers 29 Jahre später über ihr Label. In der Tat ist "Hell On Church Street" eine Track-für-Track-Hommage. Zwar enthält das Original 13 Stücke und das vorliegende Album nur 12, aber das liegt daran, dass die Brothers zwei Stücke "zusammengeklebt" haben.

Rice war einem größeren Publikum unbekannt, im Bereich des Bluegrass aber eine Legende. Ab den 1970er Jahren "befreite" er die Gitarre von seiner Rolle als Rhythmusinstrument und machte daraus eine Begleitung, die alle anderen ersetzte, auch wenn er Kollaborationen nicht scheute, wie Dutzende Alben mit verschiedenen Musikern zeigen. Seine Fingerfertigkeit und Genauigkeit waren atemberaubend - ein Virtuose, wie es auch die Punch Brothers sind. Kein Wunder also, dass sie dieses Album so sehr mögen.

Rice spielte Gesang und Gitarre auf "Church Street Blues" selbst ein, auf mehreren Stücken begleitet von seinem Bruder Wyatt, ebenfalls ein Gitarrist. Die Stücke sind Traditionals oder stammen aus dem erweiterten Folk-Bereich. Was die Sache für die Punch Brothers nicht einfacher machte - sollten sie sich an Rices Versionen orientieren oder doch eher an den Originalen? "Unser Ziel war, uns dem Material mit derselben Mischung aus Respekt und Abenteuergeist zu nähern, die Tony in jeden seiner Songs einbrachte", erklärt die Band.

Was letztlich bedeutet: sie nahmen die Stücke, dekonstruierten sie und setzten sie neu zusammen. Vielleicht liegt es an Corona, dass die Stimmung bei den Brothers ganz anders ist als bei Rice, auch wenn die Aufnahmesessions gemeinsam in Nashville stattfanden? So spielfreudig Rice, so melancholisch die Brothers.

Das zeigt sich besonders an den Instrumentalstücken, in denen Rice wirkt, als sei er ein Kind in einem Spielzeugladen. Oder Eddie Van Halen, als er das Tapping für sich entdeckte und "Eruption" zum ersten Mal spielte - ein Sprudel an freudig gepickten Noten mit einem fetten Grinsen im Gesicht (bei Rice wohl eher ein zuckender Mundwinkel).

Chris Thile an der Mandoline und Gabe Witcher an der Geige nehmen die Herausforderung im Traditional "Cattle In The Cane" noch an und spielen sich die Finger wund, Bill Monroes fröhliches "The Gold Rush" klingt bei ihnen aber nachdenklich bis traurig, mit Witchers Geige, die die Melodie von "Belfast Child" der Simple Minds aufnimmt. "Jerusalem Ridge" flechten sie in "House Carpenter" ein, eher ein Anhängsel als ein eigenständiges Stück.

Doch bieten auch sie einen fröhlichen Moment: "One More Night" klang auf "Nashville Skyline" (1969) so, als hätte Bob Dylan es beim Aufnehmen ersonnen. Wenn es 2013 auf dem Soundtrack zu "Inside Llewyn Davis" erschienen wäre, hätte es gut zu den anderen Stücken gepasst, zumal die Punch Brothers dort wie hier Tom Paxtons "Last Thing On My Mind" interpretierten.

Arg gekünstelt wirkt jedoch ihre zerpflückte Version von Ralph McTells "Streets Of London". Das Stück ist traurig, handelt es doch von Obdachlosen und vereinsamten Menschen, doch passt Rices klassische Folk-Begleitung besser als das jazzige Gepicke von Thile und Witcher, wie gewohnt begleitet von Noam Pikelny (Banjo), Chris Eldridge (Gitarre) und Paul Kowert (Kontrabass).

Den direkten Vergleich gewinnt Rice nach Punkten recht deutlich. Dennoch ist "Hell On Church Street" (eine Zeile aus dem Refrain des Openers) kein simples Cover-Album, sondern ein eigenständiges Werk, zugleich eine tiefe Verneigung. Allein dafür, dass die Punch Brothers das am Weihnachtstag 2020 verstorbene Vorbild einem größeren Publikum vorstellen, gebührt ihnen Respekt.

Trackliste

  1. 1. Church Street Blues
  2. 2. Cattle In The Cane
  3. 3. Streets Of London
  4. 4. One More Night
  5. 5. The Gold Rush
  6. 6. Any Old Time
  7. 7. Orphan Annie
  8. 8. House Carpenter - Jerusalem Ridge
  9. 9. Last Thing On My Mind
  10. 10. Pride Of Man
  11. 11. Wreck Of The Edmund Fitzgerald

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