laut.de-Kritik

Gleich hebt der Zeppelin ab.

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2015 erschienen Pyogenesis nach langer Auszeit wieder auf der Bildfläche und feierten mit "A Century In The Curse Of Time" einen hervorragenden Wiedereinstand. Eine offizielle Auflösung hatten sie zwar nie verkündet, in den 2000ern war es trotzdem ruhig um die Band geworden. Zwei langjährige Mitglieder klinkten sich aus und bescherten der Welt mit "Narcotic" einen penetranten Single-Hit. Liquido sind schon länger wieder Geschichte, Pyogenesis hingegen erreichten mit ihrer letzte Platte Platz 45 der Charts - mindestens ein Achtungserfolg.

Und jetzt machen sie nahtlos da weiter, wo sie aufgehört haben, nur knapp anderthalb Jahre nach der Veröffentlichung des Vorgängers. "A Kingdom To Disappear" ist der zweite Teil einer Albentrilogie rund um das Viktorianische Zeitalter und gesellschaftliche Veränderungen im 19. Jahrhundert. Das beginnt beim Cover-Artwork in hübscher Steampunk-Optik, geht über eine große stilistische Bandbreite und endet bei einer ähnlichen Struktur mit abschließendem Longtrack.

Noch stärker als auf der 2015er Platte mischen Flo V. Schwarz und seine Mitstreiter alle musikalischen Perioden der Bandhistorie. Zugegeben, Dance-Songs wie "Love Nation Sugarhead" seinerzeit findet man auf dem siebten Langspieler der Inzwischen-Hamburger nicht, dafür dürfen sich alle freuen, die den metallischen Wurzeln der Band zugetan sind. So viel Doublebass-Einsatz und sogar Blastbeats hatten Pyogenesis lange nicht mehr auf der Pfanne, die Zeitmaschine müsste mindestens auf das Jahr 1994 programmiert werden.

"Every Man For Himself And God Against All" spielt bewusst auf den Werner-Herzog-Film gleichen Namens an, eine Verfilmung der mysteriösen Geschichte des Kaspar Hauser. In der Strophe Death Metal mit Growls, im Refrain große Rockhymne mit Klargesang - das wäre keine große Neuigkeit, hätte man nicht noch die Pyogenesis aus der zweiten Hälfte der 90er im Ohr. "Blaze, My Northern Flame" dübelt ähnlich druckvoll herum und erinnert mit Doppelgitarren an die melodische Schwedenschule.

"New Helvetia" lässt den Verzerrer im Schrank und setzt sich mit der Akustikklampfe vor den Kamin, bevor das Schiff die Anker lichtet und in die Neue Welt aufbricht. Flos wunderbares Verständnis für Melodien kommt hier besonders gut zum Tragen. Der sphärische Nachfolger "That's When Everybody Gets Hurt" sticht mit seinen prägnanten Keyboards aus den restlichen Songs heraus und schwebt verträumt davon.

Die Exil-Schwaben scheuen auch die Auseinandersetzung mit politischen Themen nicht: "We (1848)" erzählt vom Aufbruch der deutschen Demokratie. Mir fällt keine andere aktive Band ein, die sich mit solchen Sujets in ihren Songs beschäftigt. Allein dafür haben Pyogenesis ein dickes Lob verdient, auch wenn jetzt wieder einige Metaller schreien werden, Musik müsse gefälligst unpolitisch bleiben.

"Everlasting Pain", der abschließende lange Song, kann es zwar nicht ganz mit dem Titelstück des Vorgängers aufnehmen. Aber nach einigen Durchgängen lüftet das Stück seinen Schleier und setzt sich im Gehör fest, wie alles auf dieser Platte. Im Mittelteil spielt Flo V. Schwarz mit Gesangsarrangements herum, Gitarrist Gizz Butt würzt am Schluss mit einem feinen Solo nach.

Noch schnell ein Fazit, denn gleich hebt der Zeppelin ab: Nicht jeder bekommt es hin, so verschiedene Songs gleichberechtigt aneinanderzubauen und dabei nicht vollkommenes Chaos zu erzeugen. Irgendwo zwischen den Polen Rockmusik und Death Metal meistern Pyogenesis diese Hürde zum wiederholten Male und legen ein weiteres schönes Album vor.

Trackliste

  1. 1. Sleep Is Good (Intro)
  2. 2. Every Man For Himself And God Against All
  3. 3. I Have Seen My Soul
  4. 4. It's Too Late (A Kingdom To Disappear)
  5. 5. New Helvetia
  6. 6. That's When Everybody Gets Hurt
  7. 7. We (1848)
  8. 8. Blaze, My Northern Flame
  9. 9. Everlasting Pain

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