laut.de-Kritik
Punk, der das Wesentliche aus den Augen verliert.
Review von Maximilian FritzRadio Havanna schicken sich auf ihrem sechsten Album an, Punk mit einer ordentlichen Prise Pop zu mixen. Dass man in der Szene Rang und Namen hat, zeigen Konzerte als Support für Größen wie die Toten Hosen, Rise Against oder Sum 41.
Frontmann Fichte thematisiert nun wahlweise gesellschaftlichse Scheitern, das eigene nonkonformistische Leben oder den desolaten Zustand Deutschlands (bzw. gleich der gesamten Menschheit). Dabei gibt sich die Band quasi dauerbesoffen, immer gegen das Establishment aufgestellt und zu großen Sehnsüchten und Träumereien bereit.
Schon im Titeltrack und Opener "Utopia" stellen die aus Thüringen stammenden Wahlberliner - genreuntypisch begleitet von melancholischen Klavierklängen - klar, was Programm ist: "Wir atmen Zukunft, wir trinken Hoffnung auf den Brand. Tschüss alte Ordnung, herzlich Willkommen Neuanfang". Von Zukunft geschweige denn Gegenwart atmen kann in den meisten Tracks allerdings keine Rede sein.
Von Trinken auf den Brand schon weitaus mehr. Denn Alkohol scheint ein unerlässlicher Bestandteil des Protestgebahrens zu sein. Ob er das eigene Leben als Gegenentwurf zum Spießertum demonstriert ("Ich Hab Die Zeit"), oder für die anscheinend nötige "Anti Alles"-Einstellung erhält - der Punk im Radio Havanna-Universum kennt nur zwei Aggregatszustände: Voll oder verkatert, Bier oder Pfeffi. Sonderlich subversiv wirkt das nicht gerade.
Klar, Radio Havanna legen kein bitterernstes Manifest der Kapitalismuskritik vor und wollen das auch gar nicht. Vielmehr ist "Utopia" ein Album, das während des Exzesses, sozusagen im Vorbeigehen, ernste, gesellschaftliche Themen streift. Es gibt wohl keine bessere Zeit für wütende, bis in die Knochen motivierte Politpunk-Bands wie Radio Havanna", verspricht der Promotext. Stimmt, daraus ließe sich als Politpunk-Band sicherlich einiges machen.
Das Problem ist nur: Diesbezüglich kommt von Radio Havanna fast nichts. Geredet wird von Revolution und einer Bewegung zwar viel, am Ende landet man aber doch wieder nur am Tresen. Da hilft es auch wenig, diesen Sachverhalt in "Früher Oder Späti" selbstironisch zu besingen: "Morgen geht's los, doch auf den Plan erstmal ein' Schnaps".
Ernsthaft wird es eigentlich nur in exakt drei Tracks: "Faust Hoch" stellt sich mit simplen, aber eingängigen Versen, einer klaren Botschaft und ordentlich Drive dem Rechtsruck in Deutschland entgegen - das gelungenste Stück der Platte.
"Mein Name Ist Mensch" übernimmt die obligatorische Kapitalismuskritik und thematisiert den schier unaufhaltsamen moralischen Verfall der Menschheit: "Die Lebensmittel verzockt auf dem Geldmarkt. Die einen hungern, wenn die anderen ihren Speck baden. Inflation von Wert und Moral, weil ich mehr kauf, immer mehr kauf.". Das mutet keineswegs kreativ an, hat aber seine Daseinsberechtigung.
Küchenpsychologisch wird es in "Homophobes Arschloch", das in bester Ärzte-Tradition auf die vermeintlichen Komplexe homophober Rechter abzielt: "Du fährst nach Haus zu deiner Claudi, doch du wärst lieber bei Claus. Komm lass es raus". Es sei dahingestellt, ob dieses noch immer tief verwurzelte, gesellschaftliche Problem damit zu erklären ist, dass Skinheads insgeheim lieber zu den Melodien von Britney Spears tanzen würden, statt ihre Maskulinität mit Onkelz-Platten zu zelebrieren, wie im Anschluss noch gemutmaßt wird.
Nachdem Feiern, Suff und Gesellschaftskritik abgefrühstückt sind, gerät "Utopia" in seinen letzten drei Songs nachdenklich und hochemotional. Spätestens bei "Rette mich"" transportiert "Houston" ungewollt Tokio Hotel-Vibes und "Phönix" als allerletzte Nummer hört sich nicht nur gesanglich an, als würden die Hosen einen Soundtrack zu einem Teeniefilm beisteuern: "Steh auf und lauf los, es wird weitergehen. Egal wie schlecht es läuft und wie scheiße es dir geht".
Die eingangs versprochene Wut und Motivation geht spätestens hier über Bord, und Radio Havanna erschöpfen sich in Belanglosigkeiten, wie sie sonst nur im Pop zu Hause sind. Schade drum, denn handwerklich klingt die Band grundsolide. Der Abwechslungsreichtum in Sachen Tempo ist zudem erfrischend. Bleibt nur noch festzuhalten, dass man sich vielleicht zwischen Party, Alkohol, Kritik am Zeitgeist und Seelsorge hätte entscheiden und sich auf weniger Themen beschränken sollen.
2 Kommentare
Klangen schon immer wie Deutschlands schlechteste Anti-Flag Coverband, die ihr mieses Niveau an eigenen Songs mit jeder Platte aufs neue unterbietet.
"Die einen hungern, wenn die anderen ihren Speck baden". Danke für die Info.