laut.de-Kritik
Einige Ausfälle, viele Highlights.
Review von Franz MauererDer Flecken Erde, von dem ich stamme, wird des Öfteren als besonders rückständig und hinterwäldlerisch angesehen; aber Attribute sind Attribute und there is no such thing as bad press. Aschaffenburg dagegen ist im Wesentlichen nur dafür bekannt, dass die Einwohner es in ihrer lieblichen, in seiner Vernuschelung fast schon an brasilianisches Portugiesisch erinnernden Mundart Aschebersch nennen und sonst für gar nichts, nicht einmal negativ. Das ändert sich nun, denn Reinhard Mey lädt die Stadt mit "In Aschaffenburg - Die Wiedergefundene Tournee 1992" mit verschüttet geglaubter kultureller Bedeutung auf.
Nach dem arg gemütlichen, sich selbst nicht herausfordernden (und kommerziell wenig erfolgreichen) "Nach Haus" und nachdem das sehr gute "In Wien - The Song Maker" noch einmal klarstellte, welche Live-Qualitäten der Berliner besitzt, sofern er nicht altersstarr über die eigene Bedeutung sinniert, scheint ein 32 Jahre altes Live-Album eine exzellente Wahl. Zudem will er die Erlöse lobenswerterweise der Arche spenden. Der Liedermacher war nach eigener Aussage auf der Suche nach alten Alf-Kassetten; dabei fand er Kassetten von einem anderen zotteligen Getier, hihi.
"Alles Geht!" war Anlass für die damalige Tour, ein insgesamtes okayes Album mit gefühlt zwei disparaten Teilen. Zum einen schwülstige, überinstrumentierte Filler, besonders schlimm: Das Shanty "Dunkler Rum" & der Cohen-80er-Phase-Versuch "Das Etikett", beide auch live mies, plus nicht wirklich lustige Ulk-Songs. Zum anderen aber auch Karriere-Highlights wie "Grenze" und "3. Oktober '91". Beide kliingen hier ebenso exzellent wie in der Studioversion. Interessanterweise erwähnt der Pressetext nur Meys Neugier nach dem damaligen Vortrag, aber nicht seine Beurteilung desselben – muss wohl gut ausgefallen sein, sonst gäbe es das Album nicht.
Der Opener des damaligen Albums ist auch dabei und des behandeln wir zuerst, um den emotionalen Leberhaken irgendwie zu verdauen: "Du Bist Ein Riese, Max!" ist seit dem Wissen um den viel späteren, immer noch viel zu frühen Krankheitstod von Max kaum erträglich und gleichzeitig auf eine seltsame Art und Höhepunkt und Skip-Anreiz zugleich. Die Qualität der Aufnahme ist fast durchgehend hervorragend, da hat der stets zuverlässige Manfred Leuchter erneut einen exzellenten Job geleistet. Wobei auch die Aufnahme selbst schon ungewöhnlich gut abgelaufen sein muss, selbst ein Leuchter kann nicht eine solche Qualität aus durchschnittlichem 90er-Kassetten-Noise herauspolieren.
Man merkt Mey das geringere Alter insofern an, als dass er als 50-Jähriger deutlich rascher spricht, mit weiterer Tonlage singt und an der Gitarre etwas verspielter auftritt. Das tut er im Übrigen wie gewohnt allein, ohne Band. Diese Jugendlichkeit, verbunden mit einem exzellent aufgelegten Mey, der dem Publikum mehr erklärt, erläutert, für sich wirbt als wie später oft geschehen belehrt oder sich präventiv verteidigt, lassen das Live-Album mit seinen knapp zweieinhalb Stunden sehr angenehm verstreichen.
Davon profitiert vor allem eher durchschnittliches, völlig okayes Grundmaterial wie "Das Sauwetterlied", das im Vergleich zu den Studioversionen viel an Witz und Esprit gewinnt: Das nicht von "Alles Geht!" stammende "Kaspar", das die rastlose Kindheitsatmosphäre durch sein intensives Gitarrenspiel unmittelbar transportiert, das in dieser Version sehnsüchtigere "Ich Liebe Das Ende Der Saison" und das hier komplexere und druckvollere "Peter".
Abgesehen von den "Alles Geht!"-Songs setzt Mey natürlich auf starke Stücke seines damaligen Katalogs. Zum ersten Mal eröffnet er eine Tournee mit "Über Den Wolken", dank seiner Spiellaune, Tagesform und der Audioqualität werden sichere Bänke wie "Ich Hab' Meine Rostlaube Tiefergelegt", "Der Bär, Der Ein Bär Bleiben Wollte", "Von Kammerjägern, Klarsichthüllen, Von Dir Und Von Mir" natürlich rauschende Erfolge. Dazu bekommen wir sogar "Il Neige Au Fond De Mon Âme" seines Alter Egos Frédérik Mey, der live in Deutschland leider eine viel zu kleine Rolle spielt. Das 2020 erschienen französische Gesamtwerk sei hiermit explizit empfohlen.
Eindrückliche, drängende Interpretationen von "Der Wind Geht Allezeit Über Das Land" und "Gute Nacht, Freunde" beenden ein sehr gutes Live-Album. "In Aschaffenburg - Die Wiedergefundene Tournee 1992" lässt die vielen sehr guten Songs sehr gut aussehen und die einigen okayen gut. Mehr kann man kaum verlangen, da verschmerzt man ein paar Ausfälle locker.
1 Kommentar
"Doch Kunden aus Aschaffenburg zahlen
Hasch ein Achterkurs"
Aschebersch war schon früher Fame