laut.de-Kritik
Der Retrogott hat den Funk zurück.
Review von Yannik Gölz"Was das? Retrogott? Das aber ganz schön hängengeblieben", sagt die tiefgepitchte Stimme im Intro von "Hinterher" - und mir geht ein Lichtlein auf. Endlich! Wie lange hat man diesen Kerl denn foppen müssen, bis er wieder ein bisschen Kampfgeist zeigt? Der ehemals coolste Hänger der Szene ist wieder mit Gusto anti-alles.
"Vom Strengen Geruch Des Lockeren Lebens" zeigt, dass die Platten der vergangenen Jahre nicht unbedingt schwächer waren, weil sie zu verkopft oder philosophisch gewesen wären, sondern weil der Kerl ganz komisch rumgedruckst hat. Als hätte den Retrogott die Erkenntnis überfallen, dass früher nicht alles besser war. Heute kann er sich versöhnen: "Alles, was Too Short sagt hat eine ernste Seite". Mit anderen Worten: Kurt Hustle ist back auf seinem Shit.
Auf dem neuen Album integriert er den wortkaspernden Soziologieprofessor endlich gelungen in den über den Dingen schwebenden Punchliner. Es ist derselbe alte Typ, den man geliebt hat, nur, dass die gewachsene Reflektion ihm nicht mehr selbst im Weg steht.
Das liegt vor allem daran, dass er endlich eine gelungene Aktualisierung seiner Feindbilder vorgenommen hat. Jetzt sagt er "" statt "Schwuchtel" und "Spast". Ein Upgrade! Dabei ist der Witz, dass er zwischen den Zeilen immer schon Ersteres gemeint hat. Aber so spiegelt sich der Lauf der Dinge auch darin wieder, dass die Major Label-Gangsterrap-Holzköpfe von damals heute Agenturen betreibende Krawattenträger sind. Und wenn die weiter mit Aktien-Interesse nach dem Zeitgeist suchen, gibt das eine gute Grundlage, von der aus sich das eigene Hängengebliebensein verteidigen lässt.
Und Retrogott macht das ganz zauberhaft. Er arbeitet sich an den Neunzigern ab, zwischenzeitlich sogar an den Achtzigern. Dass er an mancher Stelle auf dem Terrain meines gesellschaftskritischen Onkels landet, wenn er sich über Likes und Smartphones aufregt, nimmt man gerne hin. "Ich hortete tonnenweise Funk / und schob die Evolution auf die lange Bank" erklärt er programmatisch. Wunderbar tritt er an die richtigen Stellen, wenn er auf "Lofihighlife" sagt: "Nein, ich beherrsche nicht die Sprache der Jugend / und reagiere unbeherrscht wenn alte Säcke das versuchen", kurz nachdem er konstatiert hat: "Ich erfinde das Rad nicht neu, nur den Leichenwagen".
Man fühlt sich wie beim ersten Mal "Jetzt Schämst Du Dich", wie er ununterbrochen ein Quotable nach dem anderen heraushaut. Aber es ist natürlich ein anderer Mann, der hier am Mic steht: Ein ordentlicher Schlag universitärer Bildung, ein bisschen Weltenbummelei und Lebenserfahrung schärfen die gesellschaftlichen Analyse-Elemente. Dass sein neueres Material klüger geworden ist, das war ja nie das Problem. Das Problem lag eher im Flow und in der Lockerheit, daraus Musik zu machen. Diese Lockerheit kommt jetzt in Form von Rückhandschellen an die Musikindustrie, Hand in Hand mit philosphischen Wortgespielen, so smooth und teilweise unterschwellig in die Parts gewebt, dass man pro Part am liebsten zwei Mal zurückspulen möchte.
Es wirkt wie das Wachstum einer Pflanze, deren Samen wir damals auf "Atomgott" gehört haben. Irgendwo ist das die Klammer. Dieser Battle-Track, in dem kurz der Boden unter den Füßen wegbricht, wenn sein Gedankengang zum Tod seines Vaters schweift, die Schwere der Welt, die die Lockerheit subvertiert. "Mir gehen viele Dinge im Leben am Arsch vorbei", bestimmte er damals. Heute schließt sich die Klammer: "Andenken" ist ein konsequenteres und tiefer grabendes Auseinandersetzen mit dem Vater, dessen Leben und Sterben, dessen Flucht aus dem dritten Reich und den Dingen, die der Retrogott von ihm gelernt hat.
Es ist einer der besten Retrogott-Songs bisher, auch ist musikalisch interessant, was passiert. Die Umsetzung und die Stimmlage verzichtet auf jeden Pömp oder Kitsch, sondern setzt auf resiliente Beiläufigkeit, auch wenn man doch eine gewisse Aura des Weltschmerzes heraushören kann. Nachdem er ein Dutzend Mal auf diesem Album Funk gepredigt hat, setzt er dies konsequent um. Hulk Hodn ist ein Fachmann, der es versteht, abstrakte und klanglich vielseitige Samples in diesen geschäftigen Groove zu weben. Man kennt seine Arbeit ja inzwischen.
Das Novum: Der Retrogott schafft den Spagat, auf die Konsequenz von "Mir gehen viele Dinge im Leben am Arsch vorbei" zu verzichten, ohne die Wurzel seiner Coolness zu verlieren. Er ist immer noch erwachsener, gereifter, reflektierter und verantwortungsvoller geworden. Aber Gott sei Dankhat er seinen Funk zurück!
6 Kommentare mit 3 Antworten
naja klingt jetzt eher nicht so als hätte der Retrogott seinen Swagger back
Starkes Album, gehe komplett d'accord mit der Review. Retrogott hat die Lockerheit von früher zurück, ist aber als Rapper stark gereift.
Ich habe immer Abstand zu den Beiden gehalten, weil die während meiner Uni-Zeit von extrem anstrengende Menschen gehört wurden. Da haben sich echt so Gespräche entwickelt, die hätte man aufzeichnen müssen. Elitäres, überhebliches, hängengebliebenes Gelaber über "richtigen Rap" und "Hammer-Lines". Ganz, ganz schlimm.
Kann Retrogott nix für. Gib ihn dir trotzdem. Das ist noch richtiger Rap mit Hammer-Lines.
Würde mich wundern, wenn Olivander nicht auch schon während dem Studium ein extrem anstrengender Mensch gewesen wäre.
Retrogöttlich.
Und Yannik kann ja doch Musikgeschmack und diesen sinnvoll begründen. Manchmal.
Eine richtig runde Sache, dieses Album. Wird noch das ein oder andere Mal rotieren.
Die Beats sind halt einfach 11/10...und auch Kurt kann man sich wieder sehr gut geben.