laut.de-Kritik
Ein Hoch auf die Familie! Und die Go-Betweens!
Review von Michael SchuhVor und nach dem Konzert steht seine Frau Karin Bäumler am Merchandise-Stand, zwischendurch kommt sie für ausgewählte Songs auf die Bühne und veredelt den ohnehin glänzenden Katalog von Robert Forster mit Geige oder Glockenspiel. Wer kurz vor Weihnachten 2019 bei einem der wenigen Termine seiner Akustiktour zugegen war, hatte nicht nur intuitiv das richtige Gespür für Timing, sondern konnte auch das innige, kreative Band des Ehepaars Forster aus nächster Nähe bestaunen.
Die enge Verbindung des seit drei Jahrzehnten liierten Paars wurde 2021 mit der Krebserkrankung Bäumlers auf eine harte Probe gestellt. Musik war schon im ersten Pandemiejahr zur Nebensache geworden, Forster konzentrierte sich auf seinen Debütroman, ein lange gehegter Wunsch. Vom darauffolgenden Einschnitt in seinen Alltag erfuhren die auf Facebook für gewöhnlich gut informierten Fans vorerst nichts. Auch das für ein Konzert in Brisbane erdachte Motto "Life Begins Again" bezog man Anfang 2022 rein auf die Pandemie. Kurz darauf deutete Forster im Nebensatz an, dass die Gitarre auch zuhause nicht ausnahmslos an der Wand hängt: "Ich schätze jeden Tag und jedes neue Jahr. Und währenddessen versuche ich, möglichst keine grantigen Alte-Männer-Songs zu schreiben."
Doch davon könnte der Australier gar nicht weiter entfernt sein. Im Angesicht des persönlichen Schicksalsschlags wechselte sein emotionaler Zustand zwischen Ohnmacht und Hoffnung. Als die Worte nach den endlosen Gesprächen mit seiner Frau mal wieder versiegten, nahm Forster die Gitarre in die Hand und beide begannen zu singen. Danach verriet sie ihm, dass sie die ganze kräftezehrende Situation während des Musizierens erstmals völlig vergessen habe.
Dies ist die Vorgeschichte zu Forsters Facebook-Nachricht an alle Anhänger*innen im Oktober, in der er sowohl Bäumlers Erkrankung als auch die Kunde seines neuen Albums öffentlich machte. Denn beides gehört untrennbar zusammen. Schneller als gedacht sammelten sich plötzlich neue Songs, die das Duo in guten Phasen gemeinsam einspielte, selbst die Kinder Louis (Ex-The Goon Sax) und Tochter Loretta gesellten sich dazu. Für die Eltern relativ erstaunlich: "Das Letzte, was sie sich gewünscht hätten, waren Sessions mit Mama und Papa" (Bäumler).
Aus Sicht der Beteiligten ist "The Candle And The Flame" eine kathartische Platte geworden, deren Songs Bäumler eine Zuflucht boten. Als Hörer bekommt man den klassischen Forster: Nachdenklich, knorrig, wehmütig, und noch immer gesegnet mit dem Talent für den prägnanten Oneliner. "I Don't Do Drugs I Do Time" sticht einem da natürlich sofort ins Auge. Es ist mit Ausnahme von "She's A Fighter" das schnellste Stück der Platte und sowieso ein Highlight der nicht gerade für stürmische Gitarrensongs bekannten Spätphase Forsters. Dafür erinnert es dank des klassischen Doppelgesangs an selige Go-Betweens-Klassiker wie "Streets Of Your Town", diesmal mit Bäumlers anstelle von Amanda Browns Stimme.
Das war so nicht unbedingt zu erwarten, denn mit "She's A Fighter" eröffnet Forster sein Album mit einem Schritt heraus aus seiner Komfortzone. Schroffe Akkorde und ein sprödes Arrangement zeichnen den Song aus, der Text besteht aus lediglich zwei Zeilen ("She's a fighter / Fighting for good") und Forster spielt tatsächlich so etwas wie ein Rockriff, für das ihn Grant McLennan früher mit einem strengen Blick gestraft hätte. Womöglich spielt es deshalb auch Sohn Louis. Der hätte vielmehr auf eine gewisse Weise Grants Rolle im Studio eingenommen, beobachtete Adele Pickvance, die Bassistin der letzten drei Go-Betweens-Alben, die hier ebenfalls dabei ist.
Vor allem dem Opener hört man den ungeschliffenen Aufnahme-Charakter an, den die Situation einforderte. Zeit war kostbar. "The Candle And The Flame" wurde komplett ohne Kopfhörer und ohne Overdubs aufgenommen, alle Forsters gemeinsam in einem Raum, mit Blickkontakt. "Tender Years" rekapituliert die gemeinsame Zeit mit Karin und bündelt 34 Jahre in einem Song ("Heidelberg is a German city / By a river very pretty / And it was there that timing was our friend" .... "I'm in a story with her, I know I can't live without her"). In "It's Only Poison" blickt er nach überstandener Erkrankung auf das Durchhaltevermögen seiner Frau zurück, die er zeitweise im Rollstuhl fortbewegen musste.
Es zeichnet einen großen Songwriter aus, dass derlei emotionale Bilder und Texte nicht ins Kitschige abdriften. Forster meistert dies brillant und katapultiert sich (und uns) auf dem waidwunden "The Roads" (Geige!) und vor allem auf "Always" (volle Bandbesetzung) und "There's A Reason To Live" - so gemein diese Vergleiche auch immer sind - zurück auf eine Go-Betweens-Platte der Nullerjahre. Ich möchte hier keinesfalls seine guten Soloalben der letzten Jahre entwerten, aber nie war der Geist McLennans gegenwärtiger als hier. Vielleicht triggert ja auch der Bandkontext Forsters Kompositionsweise - auf dieser speziellen Platte kamen sicher ganz viele Faktoren zusammen.
Um beim finalen "When I Was A Young Man" in rührselig-melancholische Stimmung zu verfallen, muss man weder 65 Jahre alt noch Go-Betweens-Fan sein. Aber es hilft wahrscheinlich. Man folgt Forsters eigentümlichem Blick auf seine eigene Vergangenheit: Als er mit 21 die Heimat Australien gen London verließ, um Rockstar zu werden. Inspiriert wurde der Song von der Frage eines Radiosenders an einen Gast nach dem wichtigsten Jahr in seinem Leben.
Zudem ehrt Forster im Text vier seiner großen musikalischen Helden: David Bowie, Lou Reed, David Byrne und den jüngst verstorbenen Television-Sänger Tom Verlaine. Beeindruckend auch hier wieder, mit wie wenig Mitteln Forster auskommt. Der warme Klang seiner Akustischen und sein nach wie vor variantenreiches Organ tragen die Songs mühelos über die Ziellinie.
Vor zwei Jahren war ein neues Soloalbum noch so utopisch wie die Vorstellung von Livekonzerten in Innenräumen. Damals, Forster fuhr seine Frau regelmäßig ins Krankenhaus, starb seine Mutter mit 94 Jahren - im selben Spital. Sein Vater wurde 87 Jahre alt. "Das sind so Alterszahlen, auf die Karin und ich hinarbeiten", erzählte Forster jüngst. Möge es ihnen beschieden sein, ebenso wie viele weitere glückliche Bühnenjahre. Das richtige Mindset für diesen Plan ist vorhanden, wie man "Tender Years" entnehmen kann: "Time is important / timing is more important / Without it a story can end".
2 Kommentare
The Evangelist ist für mich bis heute eine ganz besondere Platte, freue mich auf neuen Stoff!
Das ist eine wundervolle, schön reduzierte Platte geworden. Auf "The Roads" spielt sogar James Harrison von den Goon Sax mit, daher scheint deren Trennung tatsächlich freundschaftlich verlaufen zu sein, was mich sehr freuen würde.