laut.de-Kritik
Schaler Grabgesang auf den Synthie-Punk Gabi Delgado.
Review von Michael SchuhGabi Delgado-Lopez starb im März 2020 mutmaßlich an einem Herzinfarkt. Niemand hat es kommen sehen und plötzlich war er einfach weg, der visionäre Synthie-Punk aus Cordoba. Details zur Todesursache gab es kaum, irgendwann hieß es, die weite Entfernung seines ländlichen Wohnorts in Portugal zu einem Krankenhaus sowie die dort aufgrund der akuten Coronakrise gerade hochgefahrenen Sicherheitsmaßnahmen hätten bei seinem Tod im Alter von 61 Jahren eine tragische Rolle gespielt.
"Hallo Hallo / ich bin nicht da / wenn du mich suchst / findest du mich nicht": Seine Worte auf einem der letzten neuen DAF-Songs, die für das Boxset "Das ist DAF" 2017 geschrieben wurden, hallen nun äußerst unheimlich nach. Für Gabis Partner Robert Görl war das Kapitel DAF nach diesem Schicksalsschlag geschlossen, bis er nach einem Jahr wieder auf all diese Soundschnipsel aus den 80er Jahren stieß, die er noch gemeinsam mit Delgado für ein neues Album ausgewählt hatte. Er entschied sich für einen DAF-Epilog.
Nun besteht das Wesen eines Epilogs aus einer Nachrede, da die eigentliche Erzählung bereits vorüber ist. So verhält es sich auch mit "Nur noch einer". Der klassische DAF-Robotersound liegt auf dem Operationstisch, dem eine nicht ganz unvorhergesehene Fehlamputation folgt. Görls Mut in allen Ehren, für seine Hommage auch den Gesang für Delgado zu übernehmen, doch ohne dessen oft wahnwitzige Performance fehlt den DAF-Tracks sowohl Profil als auch Durchschlagskraft.
Da hilft es auch nicht, dass uns in "Erste DAF Probe" der Imperativtexter persönlich aus dem Jenseits mit seinem markerschütternden Lachen entgegen wiehert, während Görl einen schönen Maschinenbeat trommelt und die Felle krachen lässt. Auf "Im Schatten" tritt der Bayer dann ans Mikro und als erstes fragt man sich, ob man Delgado Zeilen wie "Im Schatten ist es dunkel / und auch so schön" hätte durchgehen lassen. Görl, ganz Profi, ahmt dessen Sprechgesangsduktus eifrig nach, legt ordentlich Hall auf die Stimme und schummelt sich so einigermaßen durch. In "Kunststoff" peitscht der Sequencerbeat in bester "Alles ist gut"-Manier, Görl baut ein paar nette Flächensounds ein und kommt Delgado mit einem spröde-irritierenden Wort-Bingo zu Kunst und Kunststoff sogar relativ nahe.
"Ich dachte: Kaum jemand kennt den Gabi so gut wie ich. Also habe ich die Texte selbst geschrieben und eingesungen. Es war zum Teil so, als wäre er in den Momenten bei mir gewesen, ich habe ihn richtiggehend gespürt", behauptet Görl. Gebracht hat's wenig: "Wir sind wild" scheitert als inhaltsleere Phrasendrescherei über das gemeinsame Außenseiterleben, "Das Pur Pur Rot" und "Kein Ausweg" sind komplett hilflose Delgado-Karikaturen, der große Rest rauscht mehr oder weniger unauffällig vorbei.
Bis auf die Textzeilen, die eventuell Görls Verlust verarbeiten: "Alles wird viel schöner sein / da wo wir glücklich sind (...) die Vergangenheit wird nicht mehr sein / vor mir liegt eine neue Welt / voller Liebe ohne Hass" (aus "Neue Welt"). Abgesehen davon, dass Delgado diese von Zen-Lifestyle durchtränkten Zeilen wohl als Hippie-Scheiße gebrandmarkt hätte, fragt man sich unweigerlich, ob Görl diese privaten Zeilen nicht besser in einem Tagebuch verarbeitet hätte.
Von den Instrumentals sticht noch das unschuldig verspielte "Ein Kind aus dem Ratinger Hof" positiv hervor, dessen liebevolle Jugendnostalgie den Hauptgrund dieser Veröffentlichung wohl am besten ausformuliert: "Im Keller unter dem Ratinger Hof / spielten wir unseren ersten Song / und DAF war für immer da / DAF war für immer."
Der Titeltrack ist schließlich das Grablied dieses sonderbaren Soloalbums, mit Görl als letztem Überlebenden von ursprünglich fünf DAF-Musikern. Eine Info, die man besser googelt, anstatt sich die Platte anzuhören. Mit "Nur noch einer", das er offenbar auch auf die Bühne bringen will, tut sich Robert Görl keinen Gefallen. 2017 sagte er noch: "Wir stehen nicht mehr unter dem Druck, etwas abliefern zu müssen. Wir sind uns bewusst, dass wir schon wahnsinnig abgeliefert haben – für die Musikwelt, für unsere Fans und so weiter." Zumindest daran wird sich auf lange Sicht auch nichts ändern.
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