laut.de-Kritik

Das größte und spektakulärste Konzert Deutschlands.

Review von

Nur ein Größenwahnsinniger wie Roger Waters konnte auf eine solche Idee kommen. "Ende der 80er Jahre überlegte ich mir, 'The Wall' als große Show noch einmal aufzuführen. Es sollte ein spektakulärer Ort sein, etwa die Sahara oder die Monument Valley. Dann fiel die Mauer, und ich dachte mir: Warum nicht in Berlin?", erzählt der ehemalige Pink Floyd-Frontmann in einem Interview.

In der Tat: Warum nicht in Berlin? Neun Monate nach der Aufhebung der Trennung zwischen Ost und West fand das denkwürdige Ereignis im Juli 1990 auf dem Potsdamer Platz statt. An sich gar nicht so lange her, dennoch scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein: Da, wo heute Sony-Center und Shopping-Meilen zum Bummeln einladen, fand man eine riesige, brach liegende Fläche vor, die im Niemandsland seit Ende des zweiten Weltkriegs auf allen Seiten von einer hohen Mauer umgeben war. Vor der Freigabe wurde es nach Minen und Sprengkörper abgesucht.

Wie viele Leute tatsächlich kamen, steht nicht fest. Verkauft wurden 200.000 Tickets, aber die Organisatoren mussten die Tore öffnen, um Krawalle unter den draußen Gebliebenen zu verhindern. Konservativen Schätzungen zufolge waren 300.000 Zuschauer anwesend. Damit ist "The Wall" nach wie vor das größte Rock-Konzert, das jemals in Deutschland stattfand.

Im Mittelpunkt stand eine 20 Meter hohe und 300 Meter lange Mauer aus Styropor-Elementen, die sich hinter der Bühne auftürmte und eine spektakuläre Kulisse bot. Wer neben Roger Waters stand, war dabei eher zweitrangig. Die Scorpions lieferten mit Limos und Harleys zu Beginn von "In The Flesh" einen peinlichen Auftritt, Sinéad O'Connor fühlte sich sichtlich unwohl, The Band passten mit ihrem starken Ami-Akzent nicht wirklich hinein. Die gelungenste Darbietungen zeigten Cyndi Lauper, die in Schulklamotten lasziv "We Don't Need No Education" ins Mikrophon zischte, Joni Mitchell, die neues Leben in "Goodbye Blue Sky" hauchte, und Van Morrison, der sich überraschender Weise zu "Comfortably Numb" überreden ließ.

Mehr als ein Rock-Konzert war es ein Theaterstück mit gesungenen Texten. Die Kulissen wechselten mit atemberaubender Geschwindigkeit, ständig passierte etwas Neues. Zu "Another Brick In The Wall Part 2" erschien ein riesiger aufblasbarer Lehrer, den ein Kran bewegte. Das obligatorische Schwein in ebenfalls kolossalen Dimensionen kam auch zum Zuge. Das Militärorchester der russischen Armee sowie Orchester und Chor des Berliner Rundfunks sorgten für eine gewaltige Klangkulisse.

In "One Of My Turns" durfte Waters ein Zimmer durchs Fenster ausräumen, Animationen aus Alan Parkers Verfilmung vermischten sich mit den realen Bildern. Zum Schluss lieferten sich Albert Finney als Richter, Tim Curry als Staatsanwalt, Thomas Dolby als zappelnder Lehrer, Marianne Faithfull als Mutter und Ute Lemper als Ehefrau ein gewaltiges Sprachduell. Passend mit Graffitis der echten Mauer beleuchtet, krachte schließlich das Styroporgebilde ein. Das Publikum begleitete das Gedöns mit der inbrünstig vorgetragenen Forderung "Tear Down The Wall".

Es war der Höhepunkt und der krönende Abschluss der Show. Bei soviel Begeisterung wäre es aber vermessen gewesen, das Konzert zu diesem Zeitpunkt zu beenden. So kamen noch einmal alle auf die Bühne und stimmten "The Tide Is Turning" aus Waters' 1987er Album "Radio Kaos" an. Das versöhnliche "Outside The Wall" aus dem Album kommt erst mit dem Abspann.

"The Wall" bleibt auch lange nach seiner Aufführung ein gewaltiges Spektakel. Zwar wirkt das Line-Up hier und da altbacken, aber die reine Größe und der Zeitpunkt, an dem es stattfand, machen es zu einem unwiederholbaren Ereignis - im Gegensatz zur DVD, die nun zum wiederholten Mal auf den Markt kommt, diesmal zu wohltätigen Zwecken. Neben hochwertigen Bildern und perfektem Sound bietet sie auch eine gelungene halbstündige Dokumentation. Der einzige Unterschied zu den vorherigen Ausgaben ist die Option, die Tonspuren von "In The Flesh" und "Goodbye Blue Sky" getrennt zu hören. Sie gehört aber eher in die Kategorie "toll, was man mit einer DVD alles machen kann", als wirklich interessant zu sein.

Trackliste

Konzert:

  1. 1. In The Flesh
  2. 2. The Thin Ice
  3. 3. Another Brick In The Wall Pt. 1
  4. 4. The Happiest Days Of Our Lives
  5. 5. Another Brick In The Wall Pt. 2
  6. 6. Mother
  7. 7. Goodbye Blue Sky
  8. 8. Empty Spaces
  9. 9. Young Lust
  10. 10. Oh My God - What A Fabulous Room
  11. 11. One Of My Turns
  12. 12. Don't Leave My Now
  13. 13. Another Brick In The Wall Pt. 3
  14. 14. Goodbye Cruel World
  15. 15. Hey You
  16. 16. Is There Anybody Out There?
  17. 17. Nobody Home
  18. 18. Vera
  19. 19. Bring The Boys Back Home
  20. 20. Comfortably Numb
  21. 21. In The Flesh
  22. 22. Run Like Hell
  23. 23. Waiting For The Worms & Stop
  24. 24. The Trial
  25. 25. The Tide Is Turning.

Extras:

  1. 1. Dokumentation
  2. 2. Separate Tonspuren für "In The Flesh" und "Goodbye Blue Sky"

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