laut.de-Kritik
Ein Literat legt auf: So zart und bitter wie die Liebe selbst.
Review von Ulf KubankeJazz – nicht weniger als das zuckend pochende schwarze Herz der Musik des 20. Jahrhunderts. Oft lasziv verschwitzt wie eine Konkubine. Dann wieder zurückhaltend charmant. Aber immer sinnlich.
Solche Attribute lassen sich gleichwohl nur schwer in Einklang bringen mit dem Konterfei Roger Willemsens. Dennoch gelingt dem selbst ernannten Gralshüter des intellektuellen Kulturgenusses mit dieser 18 Meilensteine umfassenden Sammlung ein großer Wurf.
Längst ist es mal an der Zeit, mit dem lustfeindlich plumpen Vorurteil, wonach Jazz höchstens etwas für asexuelle Frickelnerds sei, endgültig aufzuräumen. Denn das Album funktioniert gleichermaßen prächtig für Einsteiger, in rauchschwarzen Kaschemmen, im Dinnersalon und bei Musikpolizisten, die sich selbst als Connaisseure bezeichnen.
Wer auch immer ein offenes Ohr mitbringt, wird schier raubtierhaft angefallen von der überwältigenden Wucht der zur Schau gestellten Gefühle.
Für Weltmusikfreunde darf es wohl "Tezeta" vom Äthiopier Mulatu Astatke sein. Ein echter Trip: Swingin' Addis Abebas Seventies bekiffter Afrojazz unter Rastafari-Gottkaiser Haile Selassie. Saxgott Joe Hendersons "Blue Bossa" zeigt allen Latino-Liebhabern ein Leben jenseits des totgenudelten "Girl From Ipanema".
Und der einzig echte Graf neben 'Graf Zahl' – Duke Ellington – darf seine "Star Crossed Lovers" in Smoking und Kleinem Schwarzen samtig smooth über den großen Galateppich schweben lassen, als wäre das Jahr 1937 nie verklungen.
Das Spannungsfeld konzentriert sich vor allem auf die allgemein als klassisch wahrgenommene Phase von Swing über Bebop bis zu Modern Jazz. Willemsens Verdienst bei der Auswahl der Lieder ist nicht hoch genug einzuschätzen: Gerne schnappt er sich wichtige Helden und Pioniere, die vom Sockel des Jugendidols gestürzt, nunmehr fast schon dem Vergessen anheim gefallen sind.
Er schickt etwa Krzysztof Komeda ins Rennen, Polanskis Haus- und Hofkomponist ("Tanz Der Vampire", "Rosemarie's Baby"). Ebenso Lester 'Prez' Young, der hochelegante Missing Link zwischen Swing und Bebop, der letzten Endes zermürbt von Rassismus und Alkohol dahingerafft wurde.
Wer sich heute soundbedingt mit Pro-Tools gehärteten Gothmetal-Pianos der kitschigsten Sorte abgeben muss, sollte mal Bill 'Kind Of Blue' Evans "Pieace Piece" in Ruhe hören. Ein König lyrischer Lautlosigkeit, der Anschlag so zart getupft wie es nach ihm bislang keiner tat.
Auch die von Art Pepper unfassbar frische und neuartig leidende Variation des guten alten Gassenhauers "Summertime" ringt diesem allzu oft mäßig gecoverten Evergreen eine komplett neue Seite ab. So zart und bitter wie die Liebe selbst.
Als Clou stellt Willemsen den einzelnen Liedern jeweils einen Essay über den jeweiligen Künstler voran. Man spürt den selbst verfassten Texten Herzblut und Leidenschaft des Publizisten durchaus an. Die Beschreibungen der Musik sind hochkarätig und bildhaft geraten.
Den einen oder anderen selbstverliebten Schlenker ins Philosophische mag man ihm da verzeihen. Lediglich wenn es auf eine gerade in diesem Genre unverzichtbare Distanzlosigkeit der Sprache ankommt, versagt er. Namentlich an jenen Stellen, bei denen es analog zur Musik um die selbst zerstörerischen Sex, Drugs & Jazz-Lebens- und Sterbensweise der meisten Künstler seines Samplers geht.
Willemsens Elfenbein türmende Entrücktheit scheut die klaren Worte des Saufens bis zum Exitus. Ein distinguiertes "Er trank sich in die Bewusstlosigkeit" wirkt da als Untertreibung geradezu künstlich und fast schon unfreiwillig komisch.
Zudem verwundert es zwar nicht, weshalb der gute Roger die zupackende Blitzartigkeit im Spiel eines Charlie 'Bird' Parker zu Recht breit erläutert. Immerhin verhält sich Parkers Bebop zu Swing wie Slayer zu Elvis. Am Ende wählt Willemsen aber mit der berühmten Ballade "Parker's Mood" doch einen untauglichen Beweis. Weltklasse, doch ebenso extrem langsam gespielt.
Willemsens Spoken Words können durch Programmierung der Titelwahl jedoch bequem ausgeblendet werden. Übrig bleiben zwei Stunden audiophiles Kerzenlicht zum Einschmelzen der Zeit.
3 Kommentare
Ich würde es ja gerne lesen, aber die blöde Robyn ist im weg und geht nicht weg.
@SillyWalk
Leg dir AdBlock zu.
@Album
Werde bei Gelegenheit mal reinhören.
heroine made my favorite jazz