laut.de-Kritik
Hier schwebt die Messlatte konstant auf gleicher Höhe.
Review von Kai ButterweckDas Quasimodo in Berlin steht auf einer Stufe mit dem legendären New Morning in Paris oder auch dem nicht minder renommierten Jazz Café in London. Ob Jazz, Soul oder Rock: In dem verwinkelten geschichtsträchtigen Kunst-Biotop unweit des Bahnhof Zoo feierten schon Nigel Kennedy, Prince und Popa Chubby exzessive Live-Abende. Kenner wissen: Wer sich hier der Szene stellt, ist Musiker durch und durch. Für Ron Spielman ist das Quasimodo wie ein zweites zu Hause.
Der Deutsch-Amerikaner sorgt schon seit Jahrzehnten für hochwertige Beschallung unterhalb der Kantstraße. Ron Spielman ist einer dieser Musiker, die ohne mit der Wimper zu zucken nahezu jeden, der sich heutzutage in die Charts verirrt, an die Wand spielen könnte. Sei es mit seinem virtuosen Gitarrenspiel, seiner markanten Stimmfarbe oder mit dem Talent, Songs zu kreieren, die weit mehr hinterlassen, als kurzlebige Ohrwurm-Melodien.
Doch Spielman ist eher ein Mann für den Untergrund. Ein Künstler, den zwar unzählige Kollegen ob seiner Fähigkeiten bewundernd auf die Schultern klopfen, der aber im öffentlichen Radar eher unentdeckt blieb. Das könnte sich demnächst ändern, denn mit "Electric Tales" liefert der Wahl-Berliner zusammen mit seinen Mitstreitern Benny Greb und Edward Maclean ein Paket ab, das man so dieser Tage nur noch ganz selten zu Gehör bekommt.
Fernab von austauschbaren Airplay-Harmonien zündet das Ron Spielman Trio-Debüt ein Feuerwerk aus vermeintlich simpelstem Rock und liefert in fünfzig Minuten dennoch mehr ab, als so manch andere erfolgreiche Combo mit ihrer kompletten Diskografie vorweisen kann.
Nachhaltige Gefühle stehen im Vordergrund, die entstehen, wenn sich perfekt arrangierte Rock-Dreiminüter wie "Raindrops" oder "Baby's Gone" ihren Weg aus den Boxen bahnen. Es geht nicht um den ultimativen Refrain oder die nicht mehr aus dem Ohr zu kriegende Hook, sondern um die Kunst, eine Stimmigkeit innerhalb der Songs zu erzeugen, bei der jede abgehalfterte integrierte Chart-Melodie eher wie ein Fremdkörper wirken würde.
"Electric Tales" ist ein Album im Sinne des Erfinders. Hier werden Geschichten und Anekdoten als Ganzes präsentiert und nicht wie mittlerweile Usus, so viele Singles wie irgend möglich aneinandergereiht. Das hat letztlich zur Folge, dass nahezu alles hängenbleibt; vom langgezogenen ersten Strat-Ton des Openers, bis hin zu den abschließenden Becken-Spielereien von Benny Greb auf "Fretboard Highway".
Dazwischen verzaubert entspannter Wah-Wah-Perfektionismus ("Loving's Not Easy"), grooviger Clean-Rock ("Lock Me Up"), balladesk Verrauchtes ("Sayonara") und angezerrt Treibendes ("Nothing To Give But Love").
Geführt wird das hochwertige Background-Treiben von der Stimme Spielmans, die immer wieder an den jungen Sting erinnert, und dennoch einen individuellen Charakter besitzt. Wer sich erst seit Anfang der Neunziger intensiv mit Musik beschäftigt und schon immer mal wissen wollte, warum ein Album eigentlich Album heißt und nicht "drei-Singles-plus-Füllmaterial", der sollte sich Zeit nehmen für "Electric Tales". Denn hier schwebt die Messlatte konstant auf gleicher Höhe.
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