laut.de-Kritik
Abschied nach 45 Jahren.
Review von Irene WinklerOb man Celtic-Rock nun zu seiner präferierten Stilrichtung zählt oder nicht - live zünden Runrig mit wahrhaftiger Freude am Musizieren ein Stimmungs-Feuerwerk, dem sich selbst der nur zufällig anwesende Festival-Besucher nicht entziehen kann. Ob stahlharter Metal-Fan oder cooler Hip-Hopper - völlig egal: Die Schotten ziehen so ziemlich jeden in den Bann ihrer eigenen Euphorie - ich hab's selbst erlebt und gesehen.
Jene Live-Atmosphäre lässt sich mit dem Album "Best Of Rarities", mit dem sich Runrig nun nach 45 Jahren von ihren Fans verabschieden, allerdings nicht ansatzweise reproduzieren. Das kann außer an den äußeren Umständen auch an der fast durchweg balladesken und damit furchtbar weichgespülten Songauswahl liegen. Bei 25 der 26 Rarities handelt es sich um Konzert-Aufnahmen in zum Teil regelrecht grottiger Bootleg-Qualität. Das kann man kultig und authentisch finden, schön anzuhören ist es bedauerlicherweise nicht.
In den vier Jahrzehnten ihrer Karriere tingeln die Schotten mit haufenweise klangerzeugendem Equipment durch die Lande: Quetschkommoden, Banjos, Gitarren mit und ohne Stecker, Violinen, (Karnevals-)Trommeln, sogar ein Piano und selbstverständlich neben allerhand anderem Blasintrument auch der Dudelsack. Aus diesem kulturellen Allerlei lässt sich geradezu verstörend Unterhaltsames formen. Exemplarisch dafür ist der zunächst rockige Folksong "An Sabhal Aig Neill" mit gälischen Vocals und der Formel zum Mitklatschen, der sich unbemerkt zur Karikatur eines indianischen Regentanzes verwandelt. "Hey, ho-ho!"
Hätte Schottland eine eigene 'Mundorgel', wäre die Band sicherlich häufig vertreten. "And The Accordions Played" scheint da unter anderem höchst geeignet. In einer eigenen Interpretation könnte man dann auch auf die unerträglich scheppernden Trommeln verzichten, die minutenlang viel zu dominant das eigene Trommelfell malträtieren. Bedauerlich. Ein wenig Nachbearbeitung hätte vermutlich (nicht nur hier) wahre Wunder vollbracht. Immerhin gelingt an dieser Stelle die Überleitung des hymnisches Songs durch ein harmonisch gespieltes, abschließendes Gitarren-Solo in die epische, von üppiger Instrumentierung begleitete Erzählung "Travellers / In Scandinavia".
So fließend gelingt die Verknüpfung der Songs aber nur auf der ersten CD. Das dürfte an der Tatsache liegen, dass die Track-Liste auf der zweiten Scheibe stur der Chronologie der Aufnahmen folgt. Unter anderem "Wonderful" und "Road Trip" fanden hier erstmals den Weg aus dem Archiv auf offizielle Tonträger.
Der einzige im Studio produzierte Song "Somewhere" bildet das herzergreifende Finale. Eine re-recordete Version aus dem letzten Studio-Album "The Story" (2016). Wie das Zwiegespräch zweier Liebender singen Bruce Guthro und die schottische Singer/Songwriterin Julie Fowlis das Stück als Duett.
Sympathisch kompromisslos, sich keiner musikalischen Mode unterwerfend sind die sechs Herren sich über die Jahrzehnte treu geblieben. Beim Blick auf das symbolträchtige Cover, das Rory und Calum Macdonald, Malcolm Jones, Iain Bayne, Bruce Guthro und Brian Hurren abgewandt auf einer Straße zeigt, möchte man ihnen durchaus wehmütig nachwinken.
Zeitgleich und begleitend zu ihrer aktuell laufenden Abschiedstournee erscheint "Best Of Rarities" auch neben vier weiteren CDs und drei DVDs zusammen mit einem 32-Seiten starken Booklet und allerlei Bonusmaterial in einer auf 5.000 Stück limitierten Collectors-Box. Läppische 35 Euro kostet diese umfangreiche Sammlung - ganz klar ein Abschieds-Geschenk an die langjährigen Fans.
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