laut.de-Kritik
Ein kleines Folk-Juwel aus Reykjavik.
Review von Giuliano BenassiAn der Vorgehensweise hat sich grundsätzlich nichts geändert: Mit seinen langjährigen Mitstreitern Shahzad Ismaily (Bass) und Chris Vatalaro (Schlagzeug) ist der Mann aus Vermont ins Studio gegangen, um Folk-Liedgut neu zu interpretieren. Wie schon zuvor begaben sie sich in die Greenhouse Studios in der isländischen Hauptstadt Reykjavik und ließen sich von Valgeir Sigurðsson (Björk, Bonnie 'Prince' Billy, Feist) produzieren.
Als Gast kam jemand mit, der an der Gitarre einen ebenso unkonventionellen Zugang zum US-amerikanischen Musikerbe pflegt wie Sam Amidon selbst: Bill Frisell. "Ich hatte beschlossen, uns alle für ein paar Tage in einen Raum zu schließen. Ich wusste, dass eine intensive Stimmung entstehen würde, wenn Bill und die anderen zusammenkommen. Ich hatte gedacht, das Ergebnis würde eigenartig und fiddle-lastig ausfallen, doch letztlich hat es sich einfach nur toll angefühlt, die Lieder zu singen, die ich ausgesucht hatte", erklärt er.
Eine entspannte, dennoch konzentrierte Arbeitsweise. "Für die Aufnahmen brauchten wir vier Tage. Ich erklärte den anderen die Grundstruktur, wir spielten das Stück ein paar Mal, dann weiter zum nächsten. Es gibt ein paar seltene Overdubs - das Endergebnis besteht aus dem, was wir auch im Studio gemeinsam gespielt haben".
Der Opener "Walkin' Boss" klingt dank seines Banjos recht fröhlich. Doch schon auf "Down The Line" setzt jene nachdenkliche Stimmung ein, die das Album bestimmt. Wirbelnde Perkussionen, eine akustische, gezupfte Gitarre und Bill Frisell, der seiner verstärkten allerlei schräge Noten entlockt. Eher Jazz als Folk, wenn man in diesen Kategorien denken will.
Denn die Absicht ist auch diesmal nicht, Genres zu zitieren oder zu vermischen, sondern eine intensive Stimmung zu erzeugen. In "Blue Mountains" kommt tatsächlich ein Fiddle zum Einsatz – es bleibt das einzige Mal -, doch ist es "Pat Do This, Pat Do That" das sich einem Folk-Stück im traditionellen Sinne nähert.
"Lily-O", Titeltrack und heimlicher Höhepunkt des Albums, kommt fast ausschließlich mit Amidons leicht angerauter Stimme und Frisells Gitarre aus, der mal zupft, mal in einer ganz anderen Tonart Flajolet-Töne einstreut. Geborgenheit zu Beginn, Entfremdung zum Schluss.
"Won't Turn Back" kommt einem nachdenklichen Lagerfeuerstück noch am nächsten, das mit Hall versehene "Maid Lamenting" klingt karibisch angehaucht und gar nach einem Soft-Porno-Beitrag. Zum Schluss folgt mit einer minimalistischen Interpretation von "Your Lone Journey" (das Robert Plant und Alison Kraus auf "Raising Sand" ebenfalls sangen) und dem fast schon kirchlich anmutenden "Devotion" ein ruhiger Abschluss.
Erstaunlich, welch raffinierte Musik sich in einem so kurzen Zeitraum mit so wenigen Beteiligten erschaffen lässt. Von einem Bestseller ist "Lily-O" soweit entfernt wie Reykjavik von New York. Ein kleines Juwel ist das Album aber allemal.
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