laut.de-Kritik
Endlich ist der Latino-Rock-Lila-Launebär wieder in Form.
Review von Markus BrandstetterCarlos Santana machte es einem zuletzt wahrlich nicht leicht. Dem ewigen Pro-Santana-Argument "Aber dieser unverkennbare Ton!" stellte Santana nämlich seit dem Megaseller "Supernatural" immer die gleiche, längst kalte Gemüsesuppe entgegen: Gaststars jeglicher Couleur liefern die Songs, Carlos soliert als Ethno-Rock-Lila-Launebär mit seiner Paul-Reed-Smith-Gitarre und seinem cremigen Signature-Ton ein wenig drüber und mutierte, wie Kollege Kabelitz in seiner Rezension zu Corazón treffend anmerkte, zum Gaststar auf seinen eigenen Alben.
Kreativ schien alles nach "Supernatural" dem Nullpunkt entgegen zu streben. Ob Carlos das bewusst war oder er einfach wieder einmal Lust auf ein wenig (Rückwärts-) Veränderung hatte? Jedenfalls hat er für "Santana IV" die quasi ganz alte Truppe zusammengetrommelt und ein Album veröffentlicht, das klingt, als wäre die Zeit seit damals nie vergangen. Zumindest fast.
Beinahe das gesamte Woodstock-Line-Up gibt sich die Ehre: Keyboarder und Sänger Gregg Rolie (essenziell für Santanas frühe Phase), Perkussionist Michael Carabello, Gitarrist Neal Schon sowie Schlagzeuger Michael Shrieve. Karl Perazzo und Benny Rietvel komplettieren das Line-Up. Den Longplayer "IV" zu benennen und ihn damit in die direkte Nachfolge zum 1971 erschienenen Album "III" zu stellen, ist vielleicht ein wenig zu viel des Guten. Woodstock ist doch lange her, und ganz so wild-durchwachsen geht es hier natürlich nicht mehr zur Sache.
Dafür werden alle Signature-Trademarks ausgetauscht, die Band steht im ständigen Dialog miteinander, der streckenweise auch ein wenig in Überlänge gerät. Der Spaß sei ihnen vergönnt. Treibende Percussion gibt den Stücken den Unterbau, Santana und Schon spielen sich Solo-Bälle hin und her und übernehmen abwechselnd einzelne Rhythmus-Teile. Die Gitarrenarbeit beider Musiker ist fulminant und es macht wirklich Spaß, den sechssaitigen Dialogen zuzuhören.
"Yambu" gibt den Anfang der Zeitreise in die 1970er, ein tribalistischer Mix aus Rock, Salsa und Jazz, Vocal-Hooklines wechseln sich mit Wah-Wah-Gitarren ab. Alles bestens, alles beim Alten. Bei "Shake It" steigert sich die Percussion noch um ein Eck, und der Titel ist Programm. Überhaupt ist die Laune bestens und die Lebensfreude überschwänglich. "Anywhere You Want To Go" beginnt mit Lachen, wird dann mit "Hey, little baby ... come here, sit on my lap" kurz creepy, entwickelt sich dann aber recht schnell zum lebens- und liebesfrohen Single-Hit des Albums.
Runter mit dem Cabriodach, Wind ins Haar, ab zum Strand oder in der Berge, denn "you know, I don't care". Und wieder übernimmt Carlos bravourös. "Fillmore East" nimmt sich dann beinahe acht Minuten Zeit, um sich als atmosphärisches, getriebenes Instrumentalstück zu entfalten, als Antwort darauf gibt es mit "Love Makes The World Go Round" wieder Latino-Party, Signature-Licks und Tanzwut inklusive. "Freedom In Your Mind" schlägt in die selbe Kerbe. Sie wollen, dass wir tanzen - das sagen sie nicht nur in ihren Texten.
Der Puls bleibt hoch. Das bassgetriebene "Choo Choo" geht nahtlos in die gesteigerte Dynamik vom Rocker "All Aboard" über. Mittlerweile sollten wirklich alle an Bord sein. Santana wäre nicht Santana, wenn es nicht auch kurze Verschnaufpausen gäbe: Beim schön schnulzigen "Sueños" wechselt Carlos zeitweilig zur klassischen Gitarre, die Band gibt sich schwerenöterisch. Sie haben alle Gangarten aus früheren Tagen immer noch bestens drauf, versuchen erst gar nicht, einen neuen Sound zu finden, sondern bringen den vergangener Tage, leicht modifiziert, ins Hier und Jetzt.
Das Ungestüme von 1969 findet 2016 natürlich in sehr gestecktem Rahmen statt - aber sonst spielt die Band alles: atmosphärisch-mystisch ("Blues Magic"), melancholisch ausufernd ("You And I"), beschwingt World-musikalisch ("Come As You Are") und explizit perkussiv. Mit "Forgiveness" geht die Band dann noch ein letztes Mal in Überlänge und setzt einen Schlusspunkt unter ein gelungenes Album. "IV" beweist, dass Carlos Santana ein toller Gitarrist ist, der als Künstler aber extrem von seinem musikalischen Umfeld abhängig ist. Nun ist er endlich wieder nach Hause gekommen.
3 Kommentare mit einer Antwort
Einleitung klingt in meinen Ohren nach Kabelitz konnte keiner überreden zu nochmal Santana. Was ich verstehen kann. Und 3 Points klingt nach nix halbes und nix ganzes. Macht keine Laune mehr der Bär. Halbwertzeit einer Millisekunde? Mal reinhören vor mir herschieb.
Klingt ein wenig wie eine Kopie der frühen Santana, aber spielerisch ist das wieder um Meilen besser und leidenschaftlicher als auf den letzten Alben und viele Tracks machen dahingehend richtig Spaß zuzuhören (diese Orgel ♥ ). Ein zweites Abraxas oder Caravanserai hat wohl kaum jemand erwartet.
Caravanserai ♥
War definitiv schon mal schlechter