laut.de-Kritik

Schunkelkitsch mit Haltung.

Review von

"Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt / Er hat es oft versucht und sich echt angestrengt." ("Vincent") "Keiner pisst in mein Revier." ("Keiner Pisst In Mein Revier") "Scheiß auf den Regen" ("Mein Jetzt Mein Hier"). Du bekommst Sarah Connor aus dem Delmenhorster Ghetto, aber das Delmenhorster Ghetto nicht aus Sarah Connor.

Nichts gegen Pipi-Kacka-Humor, nichts gegen eine schöne Portion Biebermelken, aber auf "HERZ KRAFT WERKE" wirkt all dies seltsam fehl am Platz und obendrein gestelzt. Wie Papa, der mit seinem abgehängten Sprachgebrauch krampfhaft einen Draht zur Jugend sucht. Wie die Bank, die zwei Jahre nach dem Hype eine "I Bims"-Werbung schaltet.

In diesen Momenten kollidieren Musik und Text brachial. Keine Ahnung, was Sarah Connor denkt, was sie da macht, Soul oder so was? In Wirklichkeit singt sie Schlager. Nicht etwa diesen traurigen Kadaver, den Helene Fischer, Andrea Berg und Konsorten über die Bühnen der Republik zerren. Viel mehr erinnert "HERZ KRAFT WERKE" an die guten 1970er, teilt sich die DNA mit Mary Roos, Gitte und Manuela.

Genau in diesem Umfeld wirken diese sprachlichen Aussetzer aber störend. Besonders, wenn einen das Album auch noch mit der "Vincent"-Zeile begrüßt. Da hat man doch gleich keine Lust mehr, weiterzuhören. Hat man all dies aber erst einmal richtig zurecht gerückt, ver- und den Einstieg überstanden, funktioniert "Vincent" gut. Am Ende ist der Song ja nichts anderes als ein "Die Liebe Ist Ein Seltsames Spiel"-Update mit einem gehörigen Schuss Homosexualität.

Vier Jahre nach "Muttersprache" bleibt Sarah ihrem Mama-Pop treu. Wieder singt sie aus der Perspektive der verständnisvollen, Ratschläge gebenden Mutter. Mein Gott, hätte mich das mit 15 angekotzt. Man will doch auch mal ordentlich gegen die Erwachsenen rebellieren.

Der größte Unterschied zwischen all den Mark Forsters und "HERZ KRAFT WERKE" besteht darin, dass Sarah in ihren Texten klar Stellung bezieht. In vielen Momenten vermitteln ihre Songs mehr als ein undefiniertes Gefühl, in dem sich möglichst jeder wiederfinden soll. Danke!

"Alle Bomben, Panzer und Despoten und AfD-Idioten, mein Herz kriegt ihr nicht", singt sie in "Ruiniert", um kurz darauf auf die alte Fehleinschätzung "Würden Kinder diese Welt regieren, müsste keiner hungern oder frieren" zurückzugreifen. Nie die "Raumschiff Enterprise"-Folge "Miri, Ein Kleinling" gesehen?

"Was hat uns so ruiniert?" (Waren wir nicht fett und rosig?) "Das Hirn so glatt poliert / Dass uns nichts mehr berührt / Was ist mit uns passiert?" Noch ein bisschen "Dupdudumm dudu" dazu, schon ist der Udo Lindenberg-Hit im "Wozu Sind Kriege Da"-Stil fertig.

In "Unendlich" singt Sarah Connor: "Wenn Männer mit orangnen Haaren die Welt regieren / Das Wetter leugnen und nur mit der Wahrheit spielen", um letztlich doch in Richtung Liebeslied abzubiegen. Hach, fast wünscht man sich ein politisches Punk-Album von ihr. Ginge es alleine um politische Haltung, das Zwischenmenschliche und Verständnis füreinander, müsste das Album so viel besser sein als alle letzten Morrissey-Veröffentlichungen der letzten Jahre zusammen. Aber so einfach ist die Welt dann doch nicht.

Natürlich forstert Sarah Connor trotzdem. Immer wieder gibt es diese Songs, bei denen sich dann doch möglichst jeder angesprochen fühlen soll. "Steh auf! Geh raus! Sing laut von den Dächern dieser Stadt!", schreit sie mich im unangenehm blökenden "Hör Auf Deinen Bauch" an und schreckt mich damit mehr ab, als das sie mich erreicht. Von "Es riecht nach Pizza und Gras" ("Kleinstadtsymphonie") fühle ich mich schon schon eher angesprochen. "Schloss Aus Glas" ist einfach übelster Schunkelkitsch.

Den emotionalsten Moment liefert das mit Nicolas Rebscher (Balbina) entstandene, nur vom Klavier begleitete "Flugzeug Aus Papier (Für Emmy)". Sarah Connor versucht, sich in die Trauer von Eltern hineinzuversetzen, die ihr Kind verloren haben. Im Speziellen in das Schicksal des Skifahrers Bode Miller, seiner Frau Morgan und seiner in einem Pool ertrunkenen Tochter Emmy.

Bis auf wenige Songs, die zum größten Teil aus betulichen Balladen bestehen, teilen sich zwei Teams auf "HERZ KRAFT WERKE" mit Sarah den Ring. Auf der einen Seite steht die alte Rosenstolz-Clique um Peter Plate und Ulf Leo Sommer, auf der anderen Konstantin "Djorkaeff" Scherer (Bushido, Fler, Helene Fischer) und Wim Treuner. Das Duell geht eindeutig an die Rosenstolzler, die sich in dem Schlagermilieu mit überschwänglichen Klavier- und Streicher-Arragements schlichtweg besser bewähren.

Da sich der Longplayer grob in zwei Hälfte teilt, von denen Scherer/Treuner die zweite übernehmen, gibt es hier einen deutlichen Spannungsverlust. Der lässt das Album am Ende schlechter dastehen, als es zu Beginn den Anschein erweckt hat.

Trackliste

  1. 1. Vincent
  2. 2. Ich Wünsch Dir
  3. 3. Ruiniert
  4. 4. Flugzeug Aus Papier (Für Emmy)
  5. 5. Hör Auf Deinen Bauch
  6. 6. Keiner Pisst In Mein Revier
  7. 7. Mein Jetzt Mein Hier
  8. 8. Unendlich
  9. 9. Zelt Am Strand
  10. 10. Unter Alten Jacken
  11. 11. Schloss Aus Glas
  12. 12. Weisst Du Noch Herz
  13. 13. Kleinstadtsymphonie
  14. 14. Es War Gut
  15. 15. Dank Dir

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