laut.de-Kritik

Wenn die Wände nach dir greifen.

Review von

Volle zwei Jahre bestimmt die Pandemie nun bereits das Tagesgeschehen. Selbst an vermeintlich hartgesottenen Zeitgenossen wie Schwartz ist diese Zeit nicht spurlos vorübergezogen. Mit "Lockdown" beleuchtet er, was die Maßnahmen zur Eindämmung "mit der psychischen Verfassung von Menschen machen" könne. In der Einsamkeit des heimischen Wohnzimmers entstanden die Aufnahmen als lokal begrenzte, um sich selbst drehende Arbeit über Sinnestäuschungen und seelische Schieflagen. "Gefangen in der Wohnung, gefangen in mir selbst."

In seinen "Dunkelsten Stunden" wabert das Instrumental bedrohlich durch den Raum. Schwartz räuspert sich und trägt seinen Text im schicksalsergeben ruhigen Tonfall vor: "Hier gibt's kein Licht im Wohnzimmer und Korridor, nur mich im blauen Schein des Monitors. Und vor mir das Mic und mein Kopf, der wie von selbst diese Worte hier schreibt. Und ich raune sie rein. Zu fertig, um noch laut zu sein und sie rauszuschreien." Bereits der Einstieg vermittelt den einsetzenden Realitätsverlust, dem sich schnell eine zerfließende Identität anschließt: "Weiß jemand noch, wer ich denn bin?"

"Lockdown" zoomt zunächst von außen in den Handlungsort. Schwartz verortet seine Wohnung geographisch, vermittelt die wichtigsten Eckdaten und landet bei ihrer kerkergleichen Wirkung auf seine Psyche: "Diese Wohnung hier ist eine Grabkammer. Und ich bin ein lebender Toter und lieg' wie verwest auf dem Sofa." Den Zerfall begleitet ein Instrumental mit Westcoast-Einschlag, das sich an Brotha Lynch Hung orientiert. Schon zu "Ich Träume Von Engeln Und Lebe Mit Dämonen" geht es deutlich disharmonischer zu. Wie beim Hörtest zerren die springenden Frequenzen an den Nerven.

Zunehmend trüben die Depressionen seinen Blick. Winston Churchill sah sich sein Leben lang von einem schwarzen Hund begleitet. Im Falle von Schwartz vernebelt eine "Schwarze Wolke" die Sinne. Mit deprimiertem Sound und fragilem Gesang gestaltet er seinen persönlichen Niedergang: "Ich weiß nicht, wo und wie ich mich verloren hab'." Den Kontakt zur Realität halten allenfalls noch Haustiere wie Spliff aufrecht, die ihn nach ihrem Kurzauftritt in "Dunkelste Stunden" im "Katzenskit" maunzend und schnurrend aus dem Arbeitsrhythmus bringt.

Mit dem Sturz in den "Abgrund" folgt direkt der größtmögliche Kontrast. Es entfaltet sich ein musikalisches Schlachtengemälde, das den Rapper zu verschlingen droht. Unheilvoll wie unbarmherzig bahnt sich das orchestrale Instrumental seinen Weg.

Im "Dungeon" seines Unterbewusstseins warten die "Gründe für tausend Traumata". Qualvoll erklingen Streicher, während es zugleich unaufhörlich von der Decke tropft. Zu diesem auditiven Waterboarding lässt Schwartz Schreckensbilder ins Mikro rieseln: "Kindheitsträume zucken noch an Fleischerhaken. Ihr Blut düngt die Hoffnung im Leichengarten." Mit dem Song sei laut Schwartz zwar "der Boden der Abwärtsspirale erreicht", doch der durchdringend vibrierende Bass zeugt davon, dass unterirdisch immer noch eine weitere, bislang unerschlossene Ebene lauert.

Um sich aus dem Wurzelwerk wieder herauszukämpfen, setzt er im abschließenden "Ich Raste Aus" auf stumpf zustechende Hirntot-Konventionen. Das mag nachvollziehbar klingen, doch entzieht sich völlig der Grundidee. Ein dominanter, von außen eingebrachter Charakter wie Blokkmonsta bildet einen krassen Widerspruch zur etablierten häuslichen Isolation. Noch deutlicher purzeln die nur auf der CD-Version enthaltenen Bonussongs aus dem Konzept. "Ich Weysz, Ich Weysz" und "Jetzt Beginnt Die Ballerei" führen zur Aufhebung des Lockdowns das klamaukige Alter Ego Weysz ein.

Dessen ungeachtet ruft der Rapper in seinen besten Momenten klaustrophobische Bilder im Stile von Roman Polanskis Frühwerk "Ekel" auf, in dem die von Catherine Deneuve gespielte Hauptfigur zunehmend dem Wahn verfällt, bis schließlich die Wände nach ihr greifen. Statt sich mit seinem altbekannten Überschlag-Rap auszutoben, verschreibt sich Schwartz ganz dem kleinlauten Grundgedanken, seine Überforderung mit der Situation abzubilden. So stark der "Lockdown" auch sein seelisches Wohlbefinden belastet, so vorteilhaft wirken sich die Maßnahmen auf die Musik aus.

Trackliste

  1. 1. Dunkelste Stunden
  2. 2. Lockdown
  3. 3. Ich Träume Von Engeln Und Lebe Mit Dämonen
  4. 4. Schwarze Wolke (mit Thizzy und Fruity Luke)
  5. 5. Katzenskit
  6. 6. Abgrund
  7. 7. Dungeon
  8. 8. Ich Raste Aus (mit Blokkmonsta)
  9. 9. Ich Weysz, Ich Weysz (Bonussong)
  10. 10. Jetzt Beginnt Die Ballerei (Bonussong)

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LAUT.DE-PORTRÄT Schwartz

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