laut.de-Kritik
Sie wollen nur spielen.
Review von Olaf SchmidtManchmal muss ein Album gar nichts Besonderes haben, um etwas Besonderes zu sein. So wie im Falle der neuen Selig. "Kashmir Karma" sticht in Zeiten von Autotune, überproduzierten Klangerzeugnissen und Stylerei an allen Ecken und Enden so dermaßen heraus, dass es einer Wohltat gleichkommt. Diese vier Hamburger wollen einfach nur ein paar Rocksongs schreiben und spielen. Das gelingt ihnen auf ihrem neuen Opus sehr gut.
Ein melancholischer Grundfaden zieht sich durch das ganze Album, "Unsterblich" und der Titelsong bilden eine gefühlte Klammer. Tod und Wiedergeburt, der ewige Kreislauf. Jan Plewka wiederholt dieselben vier Zeilen im Opener immer und immer wieder: "Das Licht sticht / Durchfährt mich / Ich fühle mich / Unsterblich / Zeit ist ein Raum / Die Welt ist ein Traum", lautet sein meditatives Mantra. Darum herum schichten seine Mitstreiter eine psychedelische Gitarrenatmosphäre, die einen ganz eigenen Sog entwickelt.
Selig bewegen sich auf ihrer siebten Platte deutlich weniger im Radio-Mainstream als auf dem Vorgänger "Magma". Die Produktion klingt erdiger, rauchiger, irgendwie lebendiger und nicht so glatt wie die 2013er Veröffentlichung. Selbst ein sehr zugänglicher Song wie "Nimm mich so wie du bist" verfügt noch über genug Ecken und Kanten, um nicht unbemerkt durchzuhuschen. Das liegt vermutlich am Weggang von Keyboarder Malte Neumann, der die Gruppe nach dem Neueinspielungs-Best-Of-Album 2014 verließ. Die Band startete daraufhin Phase drei ihrer Geschichte, beschloss, dass sie keinen neuen Tastenmann anheuern würde und zog sich für die Aufnahmen zur neuen Platte in eine einsame Hütte in Schweden zurück.
Dort entstand beispielsweise die gefühlvolle Ballade "Wintertag", die innerhalb eines Tag komponiert, getextet und aufgenommen wurde. Diese Heransgehensweise steht für einen neuen Arbeitsethos bei Selig, für eine Hinwendung zu mehr Direktheit. Entspannt rockende Groove-Nummern wie "DJ" stehen neben ruhigen Nachdenklichkeiten wie "Unterwegs", das sich gegen Ende in luftige Höhen aufschwingt. Ein guter Texter war Jan Plewka immer: "Unterwegs, um zu vergessen / Nicht mehr vermissen müssen / Was hinter mir liegt, erleuchtet den Weg / Bis die Welt sich leise aus der Zeit rausdreht", dieser Blick nach hinten kehrt als Motiv auch in anderen Stücken zurück. Eine Zeile wie "Das Leben ist auch nicht mehr das, was ich bestellt hab" kann sicher jeder über 30 nachvollziehen. Sie stammt aus dem schmissigen Liebeslied "Lebenselixier".
Stilistisch beackern Selig dasselbe Feld wie immer, mit verstärkter Hinwendung zum Bluesig-Souligen. Jimi Hendrix hätte an einigen Stücken seine Freude, Gitarrist Christian Neander mag sein Wah-Wah-Pedal fast so gerne wie der Meister. Ansonsten gibt es viel Rock der eingängigen Art.
Einen Refrain wie den von "Feuer und Wasser" muss man auch erst mal aus dem Ärmel schütteln. Auch ein kleiner Bluesschrubber wie "Zu bequem", der trotz verzerrter Instrumente Akustik-Feeling aufkommen lässt, passt in diese Abfolge geerdeter Lieder ohne Aufgeregtheitspotenzial. Man ist halt keine Zwanzig mehr. Der abschließende Titelsong erinnert dann mit seinen Gesangsharmonien sogar etwas an die Beatles.
Unterm Strich steht ein starkes Album, das in dieser Form nicht unbedingt zu erwarten war und die geglückte Neufindung einer in sich ruhenden Band zeigt.
5 Kommentare
Eine Band die definitiv mehr Fans verdient.
Eine Band, die einst mehr Fans hatte als sie je verdient hätte.
Für mich das beste Selig Album bisher. Das Zeug bleibt im Ohr.
Selig gehören definitiv zum besten was der klassisch deutsche Rock zu bieten hat. So ein bisschen sind sie die deutsche Fassung von R.E.M. mit ihrer Vielfalt
Das aktuelle Album bietet klassischen Selig-Rock. Unsterblich ist eine tolle Nummer, die auch aus dem Album "Hier" hätte sein können. Selig nicht mehr so kommerziell unterwegs, wie nach ihrem Comeback um 2010 herum, aber sie haben ihren Stil gefunden und haben einen typischen Sound zu bieten, der seine Anhänger zufrieden stellen wird