laut.de-Kritik
Ein ganz großer Wurf von Dan Auerbach.
Review von Philipp KauseDan Auerbach hat zum dritten Mal ein Album von Shannon Shaw und ihren drei Jungs namens The Clams produziert. Eine Platte für die Ewigkeit, die man ziemlich sicher in 40 Jahren noch gut hören kann, weil sie so radikal zeitlos existenzialistisch, originell und ehrlich ist. Die kalifornische Crew aus Oakland veröffentlicht zum insgesamt siebten Mal einen Longplayer. Dieser ist der dramatischste. Bekannt in einem Punk-Kontext, schwenkt die Sixties-versierte Gruppe jetzt auf eine interessante Verschmelzung von Garage aus den early days, Northern Soul, Atlantic-Soul und Easy Listening um. Insoweit passt die Retro-Optik des Plattencovers perfekt.
Das Amalgam zieht eine deutlich psychedelische Duftnote hinter sich her, weit ausgeprägter als auf dem Vorgänger "Year Of The Spider" (2021), der definitiv zwei außergewöhnliche Tunes hatte ("Snakes Crawl" und "Flowers Will Return"). Das neue Album ist dagegen insgesamt was Besonderes. Schon der schiefe Albumtitel "The Moon Is In The Wrong Place" ist Psychedelic pur. Dieser Psych-Vibe hält alle Tracks konsistent als Konzeptwerk zusammen, so verschieden die Stücke im Einzelnen auch sein mögen. Keyboarder Will Sprott trägt mit heftigen Orgel-Kurvenfahrten maßgeblich dazu bei. Frontfrau Shannon Shaw tut mit Bass-Stakkato-Läufen ihr übriges und hebt im Musikbiz die magere Quote von Frauen an der Bassgitarre.
Vollmond, wunderschöner Sonnenuntergang, Kondensstreifen-Wolke, idyllisches Setting - und dann passiert's: Shannons versprochener Bräutigam rast in den Rock'n'Roll Heaven. Drei Wochen vor der geplanten Hochzeit kommt er bei einem Verkehrsunfall ums Leben: "beautiful guy with the sun in your eyes", mit einem "beautiful face", wie Shannon in "The Vow" singt. Das traumatisierende Erlebnis vom Sommer 2022 durchzieht mehr oder weniger alle Songs. "Oh So Close, Yet So Far" als Verarbeitung des Verlusts, der Erinnerungen, die an einem eng verbundenen Menschen dran hängen, ist ein Schlüssel-Track der Platte. Das flink gejammte "What You're Missing" stellt dem entgegen , dass man in so einem Fall eigentlich gar nicht weiß, was man wirklich vermisst.
"UFO" setzt sich als hart konturierter Garage-Funksoul mit der nagenden Frage auseinander, warum sich das Gehirn immer weiter eine Rückkehr des verlorenen Geliebten wünscht und vorstellt. Hier übernimmt Lead-Gitarrist Cody Blanchard die Ko-Vocals in einem gepresst gesungenen Duett. Auf Marschtrommeln heißt es im Refrain "I wonder if you're ever coming back". Die Ästhetik ist Ronettes- und Shangri-Las-Arrangements der 1960er nachempfunden; hier gerät die Platte extrem retrospektiv.
Während im Einklang mit dem Garage-Punk-Background der Band viel Uptempo und gehobenes Midtempo das Album prägt und der Titeltrack regelrecht stolpert und zappelt, mischen sich zur Abwechslung auch die Balladen "So Lucky" und "Real Or Magic" dazwischen. "So Lucky" zeigt sich schwelgend, sehnsuchtsvoll, tänzelnd, mit einer Slide à la George Harrison, "Real Or Magic" sehr verträumt.
"The Vow", ein Ewigkeitsversprechen an den Toten, dass er immer der Darling bleiben wird, startet in den ersten Takten wie "Under The Boardwalk" von den Drifters und endet wie Roy Orbisons "Only The Lonely". Zitat-Pop greift hier zwar schon manchmal um sich, "In The Grass" moduliert ein bisschen die "Stairway To Heaven"-Melodie von Led Zeppelin. Trotzdem geht das ganze Album weit über eine Blaupause alter Classics und Jukebox-Hits hinaus, sondern wagt es, Neuland zu betreten.
Eine Platte in dieser Stilmischung und mit so einer geschliffenen Dramaturgie aus hart/weich, traurig/kämpferisch, laut/leise, schnell/langsam, hört man selten bis nie. Auch wenn es in spanischsprachigen Ländern die eine oder andere Band gibt, die in ein ähnliches Horn bläst, wie die vor ein paar Jahren (zu Recht) gepriesenen Melenas aus Nordspanien oder Las Kellies aus Argentinien, und während Wargirl eine spezielle Genre-Mix-Tinktur brauen - doch all diese Bands sind doch sehr dem Post-Punk verhaftet. Bei Shannon & The Clams vernimmt man in "Big Wheel" zwar auch mal einen Schuss Blondie, aber ansonsten schürft die Band deutlich tiefer in der Musikgeschichte und mit einer freien Kombination aus Zutaten, die sich in keinerlei Korsett einengt und selbst Auerbachs Blues-Affinität ausspart. "Bean Fields" und "The Hourglass" profilieren sich mit hohem Risiko, zu Ohrwürmern zu werden.
Trotzdem, um einen restlos perfekten, zweifelsfrei relevanten Meilenstein abzuliefern, hätte ich es besser gefunden, wenn die Gruppe sich für instrumentale Spielereien mehr Zeit genommen und mehr Emotionen heraus gelassen hätte, statt von einem kompakten, kurzen Track zum nächsten zu hechten. Dennoch tappt Shannons Combo in keine Klischee-Falle. Das alles zusammen lässt das Album sehr frisch aussehen.
Vielleicht liegt es an der Konstellation der Charaktere bei der Entstehung. Auerbach organisierte Session-Musiker, mit denen sich die Band auf Anhieb verstand. Shannon war vor dem Vorfall mit ihrem Verlobten bereits mit der Krebsbehandlung ihres Vaters busy. Ihre WG wurde Opfer eines Stalkers. Kollege Cody erlebte, dass viele in seinem Umfeld im Drogenstrudel starben und fragte sich, wie sie überhaupt so weit in einen Teufelskreislauf gerieten. Und im Umland von Oakland gab es schwere Waldbrände. Die Bandmitglieder machten einiges durch in den letzten Jahren. Langweilig wurde es nie.
Über die Zusammenarbeit mit Dan Auerbach in seinen Easy Eye-Studios in Nashville sagt Shannon: "Was Dan angeht, würde ich gerne eine Fliege (...) in seinem Gehirn sein. Er sieht ganz gechillt und entspannt aus, Wolken schweben um ihn herum und dann... zuckt er plötzlich mit leuchtenden Augen nach vorne über das Mischpult. Er hat etwas gehört, das ihm gefällt und will es ausarbeiten (...) und wenn wir es an einen geschmacklich perfekten Punkt gebracht haben, macht er diesen tollen kleinen Tanz in seinen Cowboystiefeln vor dem Mischpult. Das ist immer mein Lieblingsmoment im Easy Eye, wenn der Cowboytanz kommt." - Spaß bei der Arbeit überträgt sich hier nahtlos in Spaß beim Anhören. Uneingeschränkter Tipp für alle, die Soul, Surf, Rock, Punk, Psychedelic, Garage, Alternative, Doowop, stringente Songs und open-mindedness mögen!
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