laut.de-Kritik
Rock'n'Roll, der kräftig anschiebt.
Review von Daniel StraubDie Kontaktanzeigen amerikanischer Zeitungen unterscheiden sich nicht besonders von denen, die in unseren Breiten zu finden sind. Einzig unter der Rubrik 'Besonderheiten' bieten allerlei interessante She-Males ihre Dienste an. Diese von amerikanischem Pragmatismus geprägte Wortkreation könnte sich nun auch bei uns durchsetzen, sensibilisiert uns doch die Berliner Punk'n'Roll Band She-Male Trouble neuerdings für die Probleme androgyner Menschen.
In der Vergangenheit noch als Female Trouble ein Begriff, wandelte sich die reine Frauen-Combo in den vergangenen Jahren zu einem Mischwesen, das jetzt mit "Back From The Nitty Gritty" seinen ersten Longplayer vorlegt. Rock'n'Roll, der kräftig anschiebt, heißt auch hier wieder die Devise.
Von der Urbesetzung ist einzig Sängerin Carola übriggeblieben, die auf "Back From The Nitty Gritty", selbstsicher den Ton angibt. Im positiven Sinne, ist man geneigt hinzuzufügen. Die Herren verkommen trotz aller Frauen-Power am Mikro aber längst nicht zur leblosen Staffage. Ganz im Gegenteil. Munter und frisch rockt sich das Quintett vom Opener "2nd Hand Life" durch die komplette Platte.
Stromgitarrenriffs mit viel Schmackes treten selbst alterschwachen Rock-Opas mit jugendlicher Unbekümmertheit in den Hintern. An den Drums trommelt sich Micha die Seele aus dem Leib, auch wenn die Dubble-Bass tabu bleibt. Das muss so sein, will man auf dem neuerdings wieder recht stark befahrenen Rock'n'Roll-Highway nicht nur den Standstreifen nutzen. She-Male Trouble kommen niemals in die Gefahr, abgehängt zu werden und dürfen sich durchaus mit The Bones aus Schweden messen, die Punk'n'Roll mit ihren furiosen Liveauftritten jüngst eine lange überfällige Frischzellenkur verpasst haben.
Die große Stärke von She-Male Trouble liegt genau in der Zweigeschlechtlichkeit. Carolas Gespür für Melodie lädt über die volle CD-Länge zum Mitsingen ein und gibt den Tracks ihre charakteristische Note. Wenn dann noch Backgroundchöre wie bei "Killin Keepin Her Alive" dazu kommen, ist die Punkseligkeit perfekt, und man wünscht sich ein Auto mit dicker Anlage herbei, um es mit Höchstgeschwindigkeit über den Asphalt zu jagen. Irgendwie funktioniert die Assoziationsschleife Rock'n'Roll, Geschwindigkeit, Autobahn eben doch.
Widerstand ist sowieso zwecklos, wenn "Venus" aus den Boxen schallt und der Verstand längst von Zylindern, Reifen und Öl zu einer kleinen Ruhepause gezwungen wurde. Bei allen Klischees der Männlichkeit, die von She-Male Trouble gerne bemüht werden, verleugnet die Platte ihre weibliche Seele zum Glück nicht. She-Male Trouble, Fehlanzeige.
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