laut.de-Kritik

Indie, vertraut und warm.

Review von

Im Sommer 2021 wollte mich ein 60-Jähriger verprügeln. Auf dem Kerweplatz Heidelberg-Kirchheim stieg er, 1,70, Kohlscher Gemütlichkeitsbauch, Kopffarbe dunkelrot, aus seinem BMW Cabrio aus, um mir mal so richtig die Meinung zu geigen. "Das geht ja gar nicht, kannst du nicht aufpassen, hier fahren auch noch andere Menschen, das ist ja gemeingefährlich." Ich war mit dem Fahrrad über einen Parkplatz gefahren und er konnte erst zwei Sekunden später als erwünscht ausparken. Deswegen entschied er, auszusteigen und auf mich zuzuwalzen. Zu Gewalt kam es nicht, mehrere "Jetzt pass aber mal auf, Freundchen", kassierte ich dennoch. Am Ende wünschte ich ihm einen schönen Abend. Danach habe ich "Sideways" von Alexander Payne im Freien geschaut.

Daran denke ich zurzeit wieder viel, an diese fünf Minuten meines Lebens. "House" passt zu gut zu beiden Situationen dieses Juliabends. Der warme, nostalgische Indie von Shout Out Louds funktioniert sehr gut als Soundtrack für "Sideways". Musik, zu der Männer Ende 40 ihre Midlife Crisis in schöner Landschaft und stilvollen Autos durchleben, nur um am Ende wieder zu ihren Familien zurückzukehren, weil sie die wirklich lieben. Es ist aber auch Musik, um wütende Männer wieder zu besänftigen. Solche, die das steigende Gefühl der eigenen Irrelevanz bekämpfen möchten. Die deshalb immer sofort wütend sind, obwohl die Ärztin doch meinte, sie sollen auf das Cholesterin aufpassen, das sei inzwischen bedenklich hoch.

Auch diese Männer können sich entspannt in diese wunderbar zeitlose Platte hineinfläzen und Fahrradfahrer*innen Fahrradfahrer*innen sein lassen. Vielleicht mal "High As A Kite" hören. Hier greift einfach alles ineinander. Der behutsame Aufbau. Die schwärmerischen Synthie-Flächen im Hintergrund. Die hypnotisch schunkelnde Gitarre. Der Text, voller zurückhaltender Melancholie: "And I love myself more than enough" ist eine Zeile voller Trost und Durchhaltevermögen. "Where is my mind / I'm down the list of suggestions" hingegen ist die einzige akzeptable Erweiterung von "Where's My Mind". Wie eine laue Sommernacht hüllt der Song seine Zuhörer*innen ein, voller Vertrautheit und Mitgefühl.

In solchen Momenten erinnern die sympathischen Schwed*innen auf eine schräge Art an "The Suburbs", würden Win Butler und Co. aus ihrer neogothischen Kathedrale ausziehen und sich stattdessen eine gemütliche Drei-Zimmer-Wohnung in Schweden anmieten. Es ist eine ähnliche Form der Intimität, die Shout Out Louds hier ausstrahlen. Inmitten von zirkulierenden Gitarren, Drumfills und Post Punk-inspiriertem Bass finden Adam Olenius, Ted Malmros, Carl von Arbin, Eric Edman und Bebban Stenborg ganz zu sich selbst.

Das klingt dann wie "My Companion". Das Gitarrensolo erinnert an eine Zeit, in der die Gitarre noch Leben retten konnte, wenn sie nur die perfekte Melodie traf. Aus jeder Note strömt eine Nostlagie für eine längst vergangene, nie existente Zeit, in der alles leichter ging. Es klingt ein bisschen nach Guided By Voices mit ein bisschen 80s-Throwback Synthies und besserem Schlagzeug. So, wie Indie-Rock eben klingen kann, wenn die Melodie gut genug ist. Dann ist es auch egal, dass das schon mal da war und auch Melancholie kein neues Gefühl ist.

"Sometimes Sometimes" schielt auf das 2000er Garage Rock-Revival, klaut eine Gitarre aus dem Proberaum der Strokes und gibt sich damit zufrieden. Besser klingt das im rumpeligen "June", das voller Impetus drängelt. Es gibt keine Zeit mehr zu verlieren: "You know time flies, where's 05 now?"

Da bleibt nur "As Far Away As Possible" zu kommen. Ganz in die Fremde. Dort beginnen, wo alles in der Zukunft liegt. "Far away from Stockholm" will Olenius sein. Dazu zeigen seine Mitstreiter*innen noch mal, warum sie früher keine zwei Noten spielen konnten, ohne auf The Cure angesprochen zu werden. Die musikalische Untermalung dieser Flucht vor sich selbst ist allerfeinste New Wave, was perfekt zur Stimmung von Zeilen wie "Let's celebrate with a last drink before we sink / Now nowhere is our home" passt.

Trackliste

  1. 1. As Far Away As Possible
  2. 2. High As A Kite
  3. 3. Mixed Up
  4. 4. My Companion
  5. 5. Sky And I (Himlen)
  6. 6. June
  7. 7. Multiply
  8. 8. Sometimes Sometimes

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