laut.de-Kritik
High-Class Sextourismus für Soulsearcher.
Review von Mirco Leier"Der Sonne hinterher, ey jo was geht." Mit Buddys Helios-Odysee hat SiRs sehnsüchtige Flucht gen Sommer relativ wenig gemein. Denn auch wenn viele der Songs es anfänglich nicht vermuten lassen, ist "Chasing Summer" durchzogen von einer fast schon zermürbenden Melancholie, die sich im Laufe der Spielzeit zunehmend im Kreis zu dreht und einen beschwingten Sog entwickelt, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Das Album öffnet mit blechernen Durchsagen an einem Flughafen: "Hope you have a safe travel". Ironischer Weise geben die Inhalte der folgenden 45 Minuten nur wenig Aufschluss darüber, ob der 33-Jährige seine Heimatstadt Los Angeles überhaupt verlässt. Er begibt sich auf eine Reise, so viel ist klar. Diese zielt jedoch eher zweitrangig auf die namensgebende heiße Jahreszeit oder lockende ferne Örtlichkeiten. Vielmehr fliegt SiR von einer Liebschaft zur nächsten, in der Hoffnung, eine vergangene Liebe vergessen zu können. Das hat auf Dauer fast schon etwas von High-Class Sex-Tourismus, nur eben mit mehr Gefühl und geringeren Kosten.
Den Auslöser dieser Misere liefert er zu Beginn mit "John Redcorn". Der Vergleich mit einem längst vergessenen Nebencharakter der Serie King of the Hill, wirkt irgendwie passend. Mit der verzweifelter Aufforderung "Tell me I deserve all the pain that you put me through" verabschiedet sich SiR von seiner empathischen Seite und stürzt sich hinab in einen neuen Mikrokosmos voller Oberflächlichkeiten und flüchtigen Ablenkungen.
Auch wenn man es seiner traumhaft smoothen Stimme nur schwer abkauft. SiR gibt sich auf "Chasing Summer" emotional verbraucht, als lüsterner Automatismus, der in Marihuana und sinnlosem Sex Erlösung sucht. Das wird nirgends deutlicher als auf dem verschlafenen "That's Why I Love You". Auf dem Duett mit Sabrina Claudio zeichnet der Sänger das Bild einer Beziehung, deren Schreie nach etwas Beständigerem als reiner Körperlichkeit nie erhört werden. Am Ende bleibt es beim "I just fuck you and leave."
Doch auch wenn der Kalifornier seine Gefühle geschickt verbirgt (das einzige wahre Liebesgeständnis gilt seinem Weed), muss er sich auf Dauer eingestehen, dass diese ausbeuterische Weltreise zu nichts führt. Die Spirale dreht sich eben endlos weiter: "The water's fine but it's still blue", singt er auf "Still Blue (feat. Jill Scott)".
Der anfangs erwähnte Sog hat zu diesem Punkt das meiste von seiner ursprünglichen Wirkung verloren und verkommt zu einem harmlosen Blubbern. Die Instrumentals klingen gegen Ende fast undifferenzierbar ähnlich, und SiRs liebliches Gesäusel verleitet fast schon zum Einnicken. Das mag ärgerlich sein, tut aber der lyrischen Tristesse keinen Abbruch.
Es ist am Ende nämlich egal, ob er das liebliche Los Angeles überhaupt verlassen hat. Seine Rückkehr, sei sie sinnbildlich oder nicht, lässt ihn wieder da anknüpfen, wo er angefangen hat. Er singt darüber, aus all den Erfahrungen schlau geworden zu sein. "You said you'd never forgive me if I didn't make it back / But not I'm comin home for some good lovin", heißt es. Ein augenblicklicher Neuanfang, der, wenn man die Platte auf Repeat hört, in "Hair Down (feat. Kendrick Lamar)" mündet. Einer Momentaufnahme, in der SiR seiner kalifornischen Heimat huldigt und sich unbesiegbar fühlt. Macht Sinn.
Darauf folgt jedoch erneut "John Redcorn". Die nächste Beziehung geht in die Brüche und die Weltreise beginnt von neuem. Obwohl der Sänger privat glücklich verheiratet ist, vermittelt er auf "Chasing Summer" das Gefühl einer ewigen Suche nach Beständigkeit. Diese emotional erkaltete Odyssee besingt SiR über weite Strecken jedoch so wunderschön, dass man ihm, trotz der niederschlagenden Implikationen, gerne dabei beiwohnt.
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