laut.de-Kritik
Zögerliche Zäsur mit Julia Neigel und AnNa R.
Review von Philipp KauseUm ein neues Kapitel Silly zu eröffnen und zugleich an die Geschichte anzuknüpfen, zitiert die Berliner Band für den CD-Titel den '96er-Song "Instandbesetzt". Dieser war damals noch mit Tamara Danz entstanden. Das Wortspiel garniert ein Haus auf dem Cover. Was keinen Sinn ergibt.
Beeindrucken soll uns eine Auswahl älterer Tracks nebst drei neu komponierten. Fangen wir mit letzteren an. "Hamsterrad" erinnert an die mittlere Phase der Lemonbabies, wirbelnden Powerpop, der bei Diane, Kathi und Co. aber dutzendfach mehr Pep hatte, hier bei Silly farblos vorbeiflackert.
Musik mau, Text okay: Das Lied deutet an, dass wir uns vorm Lockdown in einer gesellschaftlichen Sackgasse befanden hätten und uns durchs Innehalten-Müssen aus dem Hamsterrad befreiten. Auch anders interpretierbar. Silly-Texte waren oft vieldeutig, sprangen geschickt zwischen mehreren Aspekten, mitunter sarkastisch, metaphorisierten, verklausulierten, hüpften zwischen Ebenen und verbanden mehrere Dimensionen miteinander. Genau das zu treffen ist die Aufgabe, will man die DNA der Gruppe weiterführen, jetzt mit neuen Sängerinnen, beide Promis: Julia Neigel und AnNa R. von Rosenstolz. Einige Songs teilen sie sich auf, andere performen sie gemeinsam.
Die lyrische Herausforderung meistert die neue Band-Konstellation bei "Werden Und Vergeh'n" perfekt. Zeilen wie "Feuer muss man hüten / ehe sie vergeh'n" und manche Metapher, z.B. von Kontinenten, die aufeinander zu treiben, setzen das Plastische von Silly-Texten sehr gut fort. Gerade weil man nicht so recht weiß, worum es geht. Hier in dem Beispiel wohl um Migration, Asylsuche, Klimakrise und Spaltungen von Gesellschaften. Die Wortwahl gibt für alles Belege her.
Dieser Punkt geht also auf jeden Fall an "Instandbesetzt": Grundsätzlich haben Silly es heute so drauf wie in den bewegten 80ern, Relevantes zu texten, viele gesellschaftliche Bereiche in wenigen Worten clever zu synthetisieren, zu überraschen. Das ist nicht einfach. Vielen Menschen fällt es leichter, lange Textsequenzen wortreich auszuerzählen, obwohl man in einem Bild dasselbe prägnanter sagen könnte, und wer beides sehr gut kann, wie Silly, vor dem zücke ich den Hut.
Der dritte neue Song alledings wirkt langweilig, und der Umgang mit dem großen Silly-Archiv hätte für diese nach vorne schauende Retrospektive auch noch viel Luft nach oben. "Lautes Schweigen", neu im Repertoire, klingt eher nicht laut, sondern wie ein austauschbarer Dudelsong.
Seine Absicht ist wohl eine andere: "Sing ein Lied, das auf der Seele brennt" fordert der Text selbst. Musikalisch versucht "Lautes Schweigen" (das vermutlich ein Lied gegen Rechts und gegen Rassismus sein will?) ein bisschen interkulturell nach mediterranem Geigen-Volkstanz und irgendwie nach Cranberries zu klingen, wirkt aber abgeschlagen, ideenlos, konventionell mit penetranten Wiederholungen.
Bei Sillys Back Catalogue werden sich die Geister schnell scheiden, je nachdem ob man in West oder Ost aufwuchs, älter oder jünger ist, Hardrock liebt oder nicht. Ein paar Treffer landen die aktuellen Silly für alle, dazu zählt "So 'Ne Kleine Frau", das unverwüstliche Highlight dieser CD.
Im Original gehört der Track zum Album "Zwischen Unbefahrenen Gleisen", das auf Anordnung des Kulturministeriums damals in "Liebeswalzer" umbeannt werden musste. "So 'Ne Kleine Frau", der Song über "schlaffe Titten und so 'n heißes Blut" rüttelt noch heute mit seinen frappierenden Lines wach. Unvergleichlich auch in der neuen Version: die Hardrock-Schärfe im gleißenden Gitarrenspiel.
Unklarheiten, zum Beispiel was eigentlich dort gemeint war mit der Zeile "Vom Zigarettenholen kam kaum 'n Kerl zurück", machen die Nummer nur interessanter. Die Polit-Rocker gießen auf dieser Ebene quasi Punch Lines in Rock, eloquent wie der Wu Tang Clan, als Gitarrenband in deutscher Sprache. Diesem Vermächtnis wird die neue Einspielung gerecht, an der nur ein Musiker vom Original noch beteiligt ist.
Es hätte viele weitere Single-Hits und Album-Cuts gegeben, die man dank perfekter Vorlagen sicher in Treffer hätte verwandeln können. Blöd nur, dass Silly das jetzt nicht ausschöpfen, und zwar, so die Presseinfo: Um dem Vorwurf eines bloßen Best Of's aus dem Weg zu gehen.
Das an NDW angelehnte "Heiße Würstchen" kennt im heutigen und wiedervereinigten Land nun wirklich nicht jeder, das hätte sich gelohnt. Das subtil-mysteriöse "Bataillon D'Amour", dem man anhört, dass es entstand, als Enigma, Erasure, Pet Shop Boys und Mike Oldfield auf der Westseite 'in' waren, wäre mehr als schön, einer der größten DDR-Hits und von dokumentarischem Wert. Denn Silly waren phasenweise auf Synthie-Pfaden unterwegs, und das kommt in diesem ganzen Longplayer "Instandbesetzt" nicht zum Ausdruck. Wenn das Album ein Haus ist, dann hat dieses Haus auf dem Cover ein sumpfiges Fundament und wackelt. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Combo überzeugt nicht, wirkt zögerlich.
Die Stasi-Kritik "Tausend Augen" oder die vieldeutige, augenzwinkernde, doch bissige Anti-Smog-Hymne "Dicke Luft" als einer der großen deutschen Songs zum Thema Ökologie und Umwelt wären doch gerade jetzt sehr aktuell, wo und Schokoriegel-Produzenten Urwälder roden und Digitalkonzerne spionieren. "Asyl Im Paradies" aus den '90ern mit seiner Kryptik wäre eine gute Option. Weglassen verrät, dass man sich nicht als Widerstands-Band sieht. Nur dass die Fans der ersten Stunde sie wohl so sehen.
Immerhin dabei ist "Verlor'ne Kinder" von 1989. Das Lied erzählt vom Niedergang des Ostblocks, "In die warmen Länder wolln sie fliehn / Die verlornen Kinder von Berlin". Als der Song in den Jahres-Charts der DDR 1989 Platz 5 erreichte, war Berlin schon nicht mehr geteilt.
Weitere Treffer sind "Halloween In Ostberlin" übers Lebensgefühl der Stasi-Aufarbeitung und die Übertragung westlicher Konsumgier in den ersten Nach-Wende-Jahren, musikalisch als interessanter ironischer Jazzrock mit Halloween-Gruftigkeit, und "Puppe Otto": Ein abstrus wirkendes Lied, aus dem "Mont Klamott"-Album, das (1983 im Original erstaunlich) gerade heraus und bitter die Funktion der DDR-Bürgerschaft als Marionetten darstellt, in unterkühlten Fusion-Jazzrock-Abschnitten und heißem Hardrock. Ein Spiel zwischen den Ebenen: elegant und staatstragend versus fetzig und volksnah.
Andererseits hat "Instandbesetzt" auch etliche Leerläufe. "Bye Bye" kommt in der Vorlage von '93 zumindest nach dem spröde gefiedelten Intro als lässig aufgespielter Folk mit elastischem Schlagzeug daher. Jetzt klingt es brav und öde. "Wo Bist Du" habe ich mir vier Mal hintereinander angehört: in einer Live-Darbietung von Silly mit Anna Loos, in "Inas Nacht", wo Moderatorin Ina sich mit Jan-Josef Liefers in einem Duett übt, im Original mit Tamara Danz und in der hier eingespielten Fassung auf "Instandbesetzt".
Tamara lässt im Original offen, worum es geht. Sicher nicht um moralinsaure Betroffenheit. Bei ihr schwingt kein eingeübter Pathos mit, sondern echte Dramatik mit beeindruckendem Naturalismus. Tabubefreit, selbstsicher, unkopierbares Talent. Ich bekomme bei Tamaras Version eine Gänsehaut. Die Neuauflage hingegen hört sich in meinen Ohren grottig an und ent-ehrend!
"Ich hör sie Hü-ü-fe schrein-ich", müht sich die Nach-Nachfolgerin hier ab. Das Lied ist verdammt schwierig zu singen: Handwerklich fordern die ungewohnten Halbtonschritte, filigran, sogar monoton, der Text in seiner Intention schwer deutbar, und der Atem lässt sich schwer einteilen beim Phrasieren. Warum muss man so tun, als könne man sich ein so schwieriges Lied so krampfhaft aneignen, dass es nur noch schief und falsch klingt? Bei einem so schönen Stück?
Was die Hauptstadt-Band fraglos drauf hat, ist alles, was mit Blues und Rock'n'Roll zu tun hat. Da kracht "Die Wilde Mathilde" mit sportlich gespielten Breaks knackig und unkaputtbar aus den Lautsprechern, und insbesondere das Intro ins Album mit einer lang-gedehnten, semi-instrumentalen Version des '83er-Songs "Unterm Asphalt" macht richtig Spaß. Gerade die drei neuen Kompositionen rocken aber nicht. "Instandbesetzt" ist also eine ambivalente Platte.
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