laut.de-Kritik
Gefangen im Schattenreich der Polyvalenz.
Review von Olaf SchmidtDa schau her, Slut gibt es ja auch noch. Lange war es ruhig um die deutsche Indierock-Institution. Zuletzt machte die Band 2009 auf sich aufmerksam, als sie mit der Schriftstellerin Juli Zeh auf ihrer Lesereise kooperierte. Aus dieser fruchtbaren Zusammenarbeit ging das Album "Corpus Delicti" hervor, eine Mischung aus Literatur, Theater und Musik. Die letzte pure Band-Veröffentlichung der Ingolstädter datiert allerdings schon aus dem Jahr 2008. "Still No 1" wurde damals zwiespältig aufgenommen, zu glatt poliert sei der Sound, zu schmierig die Melodien.
Fünf Jahre sind seitdem ins Land gezogen. Slut waren nicht untätig und haben sich mit gleich fünf verschiedenen Produzenten im Studio verschanzt, unter ihnen Tobias Siebert von Klez.e und Olaf O.P.A.L. Viele Köche verderben den Brei? Im Falle Sluts ist dabei zumindest ein sehr abwechslungsreiches Album herausgekommen, das deutlich an den bandeigenen Klassiker "Lookbook" erinnert. Juli Zeh macht inzwischen Werbung für die Band und jubiliert im Presse-Info: "So erklimmen Slut mit 'Alienation' die nächste Stufe der Polyvalenz."
Und richtig, oft denkt der Hörer: Junge, Junge, das ist jetzt aber ganz schön polyvalent! Oder aber: Was zum Geier will mir Juli Zeh eigentlich mitteilen? Nehmen wir an, sie hätte die stilistische Vielfalt gemeint. Dann hätte sie recht. Aus dem Indie-/Alternative-Anzug sind Slut seit mindestens zehn Jahren herausgewachsen und machen seitdem, worauf sie gerade Lust haben, ohne auf Genregrenzen zu achten.
"Anybody Have A Roadmap?" erinnert mit seinem Holzgeklapper und der Melodieführung etwas an The Notwist. In deren Gesellschaft sollten sich Slut inzwischen wohlfühlen, musizieren sie doch mit ähnlichem Mut zur Freigeisterei. Die elektronischen Spielereien in "Broke My Backbone" gehen in eine ähnliche Richtung. Lage um Lage werden Effekte aufeinandergeschichtet, vielleicht etwas zu viel des Guten. Aus diesen Zutaten besteht auch der Rest des Albums: viel Perkussion, besagte elektronische Elemente, gezupfte Gitarren. Dazu Bläser, Streicher, das übliche Indie-Arsenal. Grundstimmung: melancholisch. Deutscher Akzent bei Sänger Christian Neuburger: deutlich hörbar.
Bleibt die Stimmung im Verlaufe der Platte konstant, ähneln sich die Songs hingegen kaum. Die Stromgitarre wird nur noch selten ausgepackt. "The Next Big Thing" kommt noch am nächsten an einen Rocksong heran. Aber auch dort lassen die Bayern es nicht mehr so krachen wie früher. Ebenfalls kein Rocksong, aber deutlich herausstechend: Der "Silk Road Blues", der keiner ist, nimmt uns mit auf eine Kurzreise die Seidenstraße entlang. Sogar eine Sitar versteckt sich unter den Instrumenten. Mag das Stück auch nach hinten heraus etwas zu lang wirken, so lullt es dich mit hypnotischer Atmosphäre gerade dort besonders ein und bleibt dafür in Erinnerung.
"Never Say Nothing" lässt die momentan unvermeidlichen 80er Jahre wiederauferstehen. Eine weitere Giorgio Moroder-Gedächtnis-Keyboard-Basslinie buhlt um Aufmerksamkeit, langsam sollte der Mann mal Tantiemen von all den Künstlern einfordern, die bei ihm klauen. Genuin geraten ist hingegen das schöne Klavierfragment "Holy End", das das Album beschließt.
Unterm Strich krankt "Alienation" etwas an seinen eigenen Ambitionen. Man hört, wie viel Arbeit Slut in dieses Album gesteckt haben, wie viel Mühe, wie viel behutsame Detailarbeit. Aber genau diese verkopfte Herangehensweise hindert die Songs manchmal daran, direkt ins Herz zu gehen.
7 Kommentare
Wird gekauft. Das mit dem deutschen Akzent muss ein Witz sein, war doch bei den bisherigen Alben nicht zu hören.
achte mal auf seine aussprache von wörtern wie "vision" oder generell solchen, die mit v beginnen.
kenne nur die ersten beiden alben. die finde ich nach wie vor toll. wird angecheckt
Das waren doch die, die beim BVSC mit den Kiddis auf der Buehne standen, die "Ich glaub ich mag dich" gesungen haben. Ohrwurm. Wusste nie von wem das war.
Mir fehlt so ein wenig das wohlige Gefühl eines Nutella-Einlaufs beim Hören des Albums.
Ich finde das Album eindeutig von der Redaktion unterbewertet. Es ist reif, abwechslungsreich, vielschichtig und für Musikliebhaber einfach ein Genuss. Eines der stärksten Alben das ich kenne.