laut.de-Kritik

Billy Corgan findet zurück zu einer Wucht, die längst verloren schien.

Review von

Es gibt sie, diese unumstößlichen Weisheiten: Auf jede dunkle Nacht folgt ein heller Tag. Die Zeit heilt alle Wunden. Jeder Krieg endet einmal. Ein bayrischer Ministerpräsident wird niemals Bundeskanzler. Es ist niemals Lupus. Die Smashing Pumpkins bringen seit "Monuments To An Elegy" nur noch Schund raus. Wer weiß, was passiert, wenn auch nur einer dieser Kipppunkte ins Wanken gerät. Dennoch stehen wir nun im August 2024 plötzlich mit "Aghori Mhori Mei" da, dem ersten guten Pumpkins-Album seit "Oceania". Muss uns Angst und Bange werden? Tragen wir an dieser Entwicklung eine Mitschuld?

2023 leisteten wir uns den ultimativen Diss in Richtung Billy Corgan. Zum ersten Mal seit Bestehen von laut.de besprachen wir mit "Atum - Act III" den neuesten Release der Band aus Chicago erst gar nicht. Das Interesse war nicht auf Null, sondern in den Minusbereiche gesunken. Dem dreiteiligen Rockoper-Monster konnten selbst die härtesten Fans nur noch schwer folgen. Fühlte sich Corgan davon angespornt? Gar persönlich beleidigt? Jedenfalls zog er die richtigen Schlüsse daraus.

Im Wesentlichen liegt das ganze Kunststück von "Aghori Mhori Mei" darin, dass die Pumpkins in ihrer Zeitlinie an den Punkt zurückkehren, an dem sie noch relevant waren. Als die Erwähnung des Namens noch nicht zu einem Augenrollen beim Gegenüber führte. In die 1990er, zu "Gish", zu "Siamese Dream", zu "Mellon Collie And The Infinite Sadness".

Das ist alles andere als innovativ, aber nach all den ganzen Reinfällen vollkommen ausreichend, um die Fanseele noch einmal zu befriedigen. Volle Konzentration. Zehn Lieder. Keine Fisimatenten. Ende. Gut. Aus.

Natürlich erreichen die Lieder nicht die Klasse von einst. Es wäre zu viel, dies zu erwarten. Hier ist keine Welt der Vampir, kein Killer in mir der Killer in dir. Von einem Track wie "Silverfuck" wollen wir gar nicht erst sprechen. Ein "Love never dies / A love / Love as ice" ("Pentagrams") reicht da bei weitem nicht. Aber vieles hier ist solide. Grundsolide. Die Pumpkins finden zurück zu einer Wucht, die längst verloren schien.

Der Opener "Edin" unterstreicht dies vom ersten Augenblick an. Setzt erst einmal das herrlich hart vor sich hin rumpelnde Gitarrenriff ein, sind die Smashing Pumpkins von einst zurück. Sie bleiben nicht durchgehend so auf den Punkt. Über ganz "Aghori Mhori Mei" bleibt ihre Aura unbeständig, kann innerhalb von Sekunden wechseln. Aber manchmal, manchmal ist es ein unverhofftes Fest Iha, Chamberlin und Corgan noch einmal so konzentriert zu erleben.

Deutlich zieht das Album seine Kraft aus den starken Riffs, die Lieder wie "Sighommi" und das kräftige "War Dreams Of Itself" verzieren. Letzteres durchziehen jedoch unpassende Synthesizersounds der billigsten Art. Ein Problem, das viele Tracks betrifft. Das im Grunde wirklich aparte "Who Goes There", das sich auch auf "Mellon Collie And The Infinite Sadness" gut gemacht hätte, leidet noch deutlicher an dieser üblen Produktion Corgans.

Seinen essighaften Gesang, der zeitweise noch mehr beißt auf als früheren Veröffentlichungen, stellt er einmal mehr zu deutlich in den Vordergrund. Es hätte dem Longplayer sicher nicht geschadet, wie früher eine weitere, außenstehende Person in die Produktion einzubeziehen. Vieles hier schadet den Tracks mehr, als es ihnen nützt. Anstatt in ihnen den entscheidenden Funken zu entfachen, löscht er ihn. Was sich bei diesem stimmigen Songmaterial als noch ärgerlicher als sonst erweist.

Es sind diese Schwächen, die eine höhere Bewertung von "Aghori Mhori Mei" verhindern. Bei aller Härte, fehlt es den zehn Songs oft bei den Gesangsmelodien an einem bleibenden Moment. Vieles klingt zu ähnlich, es fehlt die Abwechslung. "Pentecoast" wird bis zur Unkenntlichkeit zugekleistert. Zudem misslingt das Album-Finale gewaltig. Wäre da nicht dieser grauenerregende Refrain, "Sicarus" wäre wirklich gut. Aber nun ist er nun mal da. Wenn man dies übersehen kann, funktioniert der Track aber.

An "Murnau" hingehen gibt es nichts schönzureden. Es führt direkt zurück an einen Ort, an den niemand zurück möchte. Zurück zu "CYR", zurück zu "Atum". Als wolle uns Corgan zum Abschluss noch einmal zeigen, wie schlimm alles war, wie weit seine Band gefallen war und wie viel besser Tracks wie "999" und "Goeth The Fall" sind.

Trotz dieser Schwachstellen bleibt "Aghori Mhori Mei" eine positive Überraschung. Kein perfektes, aber ein gutes Smashing Pumpkins-Album. Mit der Hoffnung ausgestattet, dass da sogar noch mehr in ihnen schlummert. Eine Erkenntnis, die unsere ganze Weltordnung ins Bröckeln bringen könnte. Ein Preis, der deutlich zu hoch wäre. Nicht, dass bald Söder in ewiger Nacht im Bundeskanzleramt sitzt und auf ewig Krieg spielt. Wenigstens hätte er dann aber Lupus.

Trackliste

  1. 1. Edin
  2. 2. Pentagrams
  3. 3. Sighommi
  4. 4. Pentecost
  5. 5. War Dreams Of Itself
  6. 6. Who Goes There
  7. 7. 999
  8. 8. Goeth The Fall
  9. 9. Sicarus
  10. 10. Murnau

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7 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 3 Monaten

    Nach unsäglichen Total-Ausfällen wie CYR und ATUM gehen SP mit dem neuem Album definitiv wieder ein paar Schritte in die richtige Richtung. Zwar hat Aghori außerhalb der überschaubaren Smashing Pumpkins Fanbubble keinerlei Relevanz, aber die verbliebenen Follower der Kürbistruppe können froh sein und erleichtert aufatmen, dass Katie Cole nicht jedes einzelne Wort von Billy nachsingt und die Synthie-Sounds nicht mehr so unkontrolliert und exzessiv eingesetzt werden wie auf den letzten unhörbaren Outputs… und es ist auch schön, dass Chamberlin mal wieder (durchgehend) auf ein echtes Schlagzeug draufhämmert und der Drum Computer dieses mal ausgeschaltet bleibt.
    Frustrierend ist allerdings, dass so gut wie auf jedem Track zwar einige gute Ideen vergraben sind, doch auf zu vielen Songs folgen auf die einzelnen gut klingenden Strukturen bald darauf wieder ein paar weniger gelungene… etwas mehr Feintuning wäre wahrlich wünschenswert gewesen. So bleibt ist das volle Potenzial zwar hörbar aber es wird letzten Endes nicht voll ausgenutzt.
    Aghori Mori Mei erinnert von der Sound-Kulisse, dem Vibe und der Atmosphäre sogar recht positiv an Oceania – ohne jedoch dessen Klasse zu erreichen.
    Aber machen wir uns nicht vor - kein einziges Stück von Aghori hätte es auf ein Album der Band aus ihrer glorreichen Homerun-Serie aus den 90ern geschafft - noch nicht einmal als B-Side. Im direkten Vergleich war auch Monuments to an Elegy aus dem Jahr 2014 eine bessere und stimmigere Platte.
    Edin, Who Goes There und allen voran Pentagrams sind defnitiv die Standout-Tracks der Scheibe. Im Großen und Ganzem eine recht okaye Platte, die trotz einiger durchaus gelungenen Passagen nicht über das (untere) Mittelmaß hinaus kommt. Dennoch spreche ich eine leise Empfehlung aus - allerdings nur für Hardcore-Fans der Band.
    Fazit: Ein Album wie der Chernobyl Meltdown aus Sicht des Chefingenieurs: Not great, not terrible. Gehört 2/5.

  • Vor 3 Monaten

    Kabelitz hat wieder einen Punkt abgezogen, weil er Cilly Borgan nicht mag und irgendeine seltsame Parallele zu einem Krieg spielenden Markus Söder zieht, wo doch jeder weiß, dass Anton Hofreiter noch lieber Krieg spielt.
    Vier Sterne wären richtig gewesen, da die meisten Songs richtig gut sind und das qualitative Niveau von "Zeitgeist" und "Oceania" erreicht. Für mich ist z.B. "Sicarus" neben "Edin" der beste Song des Albums weil es der Gesangsmeolodie dort nicht fehlt an "an einem bleibenden Moment" und mich am stärksten an die wirklich guten Songs der 90er erinnert.

  • Vor 3 Monaten

    Kann bestätigen: die Platte ist nicht komplett unhörbar. Und das ist eine fast schon übermenschliche Leistung für den heutigen Billy.

  • Vor 3 Monaten

    „Seinen essighaften Gesang…“

    Was für eine Formulierung. Da hätte ich als Umschreibung von einem Musikjournalisten mehr erwartet.

    „ Ein Preis, der deutlich zu hoch wäre. Nicht, dass bald Söder in ewiger Nacht im Bundeskanzleramt sitzt und auf ewig Krieg spielt. Wenigstens hätte er dann aber Lupus.“

    ??? Hauptsache der Verfasser weiß, was mit diesem Abschnitt gemeint ist. Ich verstehe es nicht.

    Ansonsten eine Platte, die eher zum vergessen ist (wie alles nach Machina). Die Band hatte ihre popkulturelle Berechtigung und hat brillante Alben produziert. Aber hier wird etwas am Leben erhalten, was eigentlich schon tot ist.

  • Vor 3 Monaten

    zumindest zeigt er mit Liedtexten und Cover welche "Energie" er in die Welt tragen will/soll

  • Vor 3 Monaten

    Für mich ist das Album, das Beste seit "Zeitgeist". Schwer alles miteinander direkt zu vergleichen.
    Endlich wieder richtig verzerrte Gitarren, dass hat mich etwas an "Oceania" und auch an den wenigen (wenn auch nicht schlechten) Rocksongs auf "Autum" gestört.
    Endlich wieder überhaupt Songs, die nicht stur nach "Vers/Chorus/Vers) gehen, das hat mich an "Cyr" und auch "Autum" gestört.
    Und endlich wieder eine Platte, mit der man sich lange beschäftigen kann, um sich reinzufieseln.
    "Edin" ist der stärkste Rocksong seit min. 17 Jahren (seit "Doomsday Clock") und "Who goes there" die schönste, mehr oder weniger" Ballade nach 12 Jahren (nach "The Celestials").
    "Aghorie" klingt sehr nach Pumpkins der 90er.
    Ich befürchte nur, dass Billy diesen Weg wieder eingeschlagen ist, weil er sich alte Erfolge damit erhofft. Also schon bisschen der Geschäftsmann, aber immerhin kommt auch wieder Evil Bill durch.