laut.de-Kritik

Auch die Harten kommen in den Fernsehgarten.

Review von

Olaf Scholz traf kürzlich im Suff bei einer Party auf Joe Chialo und bezeichnete ihn als "Hofnarr". 1989 startete Chialo als Sänger einer Nürnberger Metal-Band, jobbte außerdem nachts als Türsteher. Von 2007 bis 2013 war er Manager der Sängerin Sotiria. "Ich war Anfang 20 und wurde massiv psychisch unter Druck gesetzt, erpresst, bedroht, ich hatte teilweise Angst vor dem Typen", resümiert sie in einem TikTok-Clip die Zusammenarbeit mit ihm, der aktuell als Kultursenator mit CDU-Parteibuch die Hauptstadt mitregiert. "Er hat sich hinter meinem Rücken das Namensrecht an Eisblume gesichert. Obwohl ich genauso daran beteiligt war, diesen Namen zu überlegen."

Sotiria fungierte als Sängerin der Band Eisblume, bezog diesen Namen aber auch als Pseudonym auf sich als Person. Schon auf zwei Alben mit den aussagekräftigen Titeln "Mein Herz" und "Hallo Leben" trat sie seither als Sotiria ans Mikrofon. Noch näher am Schlager wirkt Sotirias neuester Streich.

Sie greift zum Teil auf einen Komponisten zurück, der schon an sieben Stücken von Lord Of The Lost beteiligt war (zum Beispiel "Viva Vendetta"): Rupert Keplinger, nachzuschlagen auch bei Universum25 und Eisbrecher. Stilistisch ergibt sich einige Übereinstimmung. Die Art, wie unter Sotiria die Drums donnern, ist einerseits dem Gothic-Genre zuzuordnen, andererseits pluckern die Sequencer wie in einer Modern Talking-Produktion, etwa in "Schwarzer Diamant". Der hymnische Charakter, den das Album "Meine Liebe Ist Gift" totreitet, macht Coldplay heftige Konkurrenz um Stadion-Pathos.

Es trifft sich gut, dass Sotiria Schenk ihr Album ein paar Tage nach dem ersten Solo-Album von Chris Harms veröffentlichte und am Tag nach des Kanzlers juristischem Feldzug gegen den Focus, der die Hofnarr-Story aufdeckte. Das Timing ist auf wundersame Weise perfekt, die Platte ist es nicht. Dafür ist sie originell.

Ähnlich Sahra Wagenknechts Verzahnung von rechtspopulistischer Rhetorik mit linker Umverteilungs-Logik gilt auch bei Sotiria "anything goes": Gruftgrau vermählt sich mit akustischem Blümchen-Muster und plakativem Schlager-Bunt, siehe "Tanzen Richtung Untergang". "Warum fühlt es sich so richtig an? / Den einen Schritt so nah am Abgrund dran". Die Glut und Asche des Verderbens, Schrecken, Einsamkeit und Angst heiraten musikalisch so abrupt und bruchlos den Kirmes-Glitter, kuschlige Idylle und Harmonie-Bestreben, als wären sie stets unzertrennlich gewesen. "Bevor die Welt auf uns einbricht / weckt mich auf / aus dunklen Träumen / aus dunklen Welten / bitte weckt mich auf / besser jetzt als irgendwann", zetert die 38-Jährige in "Weck Mich Auf".

Der Abgrund hält auch im Power Symphonic-Pop "Vergissmeinnicht" als Setting her. Schlüpft ein Track wie "Dein Spiel Ist Aus" noch als atmosphärische Dark Rock-Ballade (im weitesten Sinne) durch und verpackt das universelle Thema 'Lüge' ganz gut, so sind dem glitschigen Arrangement "Schwarzer Diamant" schon die Vorhersehbarkeit und der Harmonieverlauf von Schlager-Pop anzumerken. "Bis alle Angst in unsrer Hand zu Staub zerfällt", so strapaziert die Wahl-Hamburgerin und Ex-Berlinerin den Metaphern-Baukasten. "Du und ich gegen den Rest der Welt", fügt sie an. Du und ich haben zusammen nur eine Hand, also unsere Hand. Wenn die Angst zu Staub zerfällt, verschwimmt "das Herz so schwarz" mit der Nacht, im Synth-Rock-Schnulz "Schwarze Rosen", einer Ansammlung sinnloser Silben in einem schrillen Mix aus Fantasy-Metal, Ultravox-Erbe und Mitklatsch-Schlager. Joachim Witt dürfte neidisch werden, wenn er das hört.

Manchmal unterhält die Kreuzung aus choraler Grundierung und resonanzstarken Pump- und Schnalz-Effekten aus der Drum-Machine als solides Entertainment, wie in "Vergib Mir" und im stimmigsten Track "Ich Stehe Im Regen". Doch die helle Stimme der Dunkel-Vokalistin beeindruckt kaum. Sie erscheint so zweckdienlich wie ausdrucksschwach, rutscht allzu rasch ins Register der Verzweiflung, womit sie Songs wie "Ich Stehe Im Regen" und "Dein Spiel Ist Aus" zu panikartigen und übertriebenen Totalausfällen degradiert. Schwache und schematische Lieder werden so noch trashiger. Die Bonus-Ballade "Hungriges Herz" versöhnt dann doch ein bisschen mit dem sonst seltsamen Sound-Mix des Albums und wirkt tatsächlich schön produziert - ein sentimentales Klavier-Cello-Stück.

Die Dramaturgie auf "Meine Liebe Ist Gift" verfolgt den nachvollziehbaren Ansatz von Hart bis Zart mit dem Schwerpunkt auf Härte und Gothic am Anfang, dann Schmachtfetzen und Herzschmerz im weiteren Verlauf. Somit erhält man eher zwei zusammen gefügte EPs, die unterschiedliche Temperamente bedienen, aber auch aufeinander aufbauen. Eisbrecher Alexx Wesselsky, einst Gründer von Megaherz, vervollständigt den Longplayer ebenso wie Peter Heppner. Somit ist dem Mainstream-Streben der Neue Deutsche Härte-Szene Genüge getan. Es fehlt aber noch Nino de Angelo, für den Sotiria 2024 als Support-Act auftrat und mit dem sie "Memento Mori" sang. Fürs nächste Sotiria-Album wünschen wir uns ein Duett mit Andrea Nahles.

Trackliste

Standard Tracklist

  1. 1. Meine Liebe Ist Gift
  2. 2. Deine Königin
  3. 3. Weiß Wie Schnee
  4. 4. Dein Spiel Ist Aus
  5. 5. Schwarzer Diamant
  6. 6. Tanzen Richtung Untergang
  7. 7. Vergissmeinnicht
  8. 8. Ich Stehe Im Regen
  9. 9. Weck Mich Auf
  10. 10. Gegen Den Rest Der Welt
  11. 11. Schwarze Rosen
  12. 12. Du Bist Nicht Mehr Da
  13. 13. Vergib Mir

Vinyl-Bonus Track

  1. 1. Hungriges Herz

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3 Kommentare

  • Vor 17 Stunden

    Die Songs mit Alex und Heppner sind richtig gut und machen Laune, danach wird das Hörergesicht immer länger. Hab es dennoch trotz allem Schwulst gen Ende dann doch deutlich lieber als die Trauerkonserven einer Ayliva und Co.

  • Vor 13 Stunden

    Finds Album eigentlich völlig akzeptabel, aber wo genau war sie jetzt mal Sängerin von der Band Scarlet Dorn? Eben mal reingehört und das ist musikalisch schon ähnlich, aber eine ganz andere Band?

  • Vor 13 Stunden

    Fast schon traurig, wie der Rezensent hier seinen politischen Frust in die Rezension eines Albums forciert, das mit Politik aber so gar nichts zu tun hat. Die peinlichen Vergleiche tun teilweise schon arg weh.

    Zum Album selbst: Ganz nett, wirkt z.T. aber auch konstruiert. Wie so häufig, wenn man keine Band hat und sich Songwriter einlädt, die das produzieren, was in der jeweiligen Szene gerade ankommt.