laut.de-Kritik
Wer an Liebeskummer erkrankt, rette sich mit dieser Musik.
Review von Jasmin Lütz"Während den Aufnahmen höre ich die Songs ständig. Ich bin geradezu davon besessen. Jedes Detail muss stimmen. Wenn die Songs dann fertig sind, besteht kein Grund mehr für mich, die Aufnahmen anzuhören." (Jason Pierce im Interview auf laut.de, 2004)
Das Album "Ladies And Gentlemen We're Floating In Space" aus dem Jahre 1997 steht auch in diesem Gespräch im Vordergrund: Eine verträumte, psychedelische Rock-Symphonie seiner Anfang der 90er gegründeten Band Spiritualized. Auf welchen Pillen oder Trips Jason Pierce hier auch gewesen sein mag, dieses Album wirkt auch ohne Drogen und versetzt über 20 Jahre später immer noch in einen elektrisierenden Trancezustand, bei dem man alles um sich herum vergisst.
Der Opener "Ladies And Gentlemen We're Floating In Space" verspricht eine fantastische Reise durch das abwechslungsreiche Klangspektrum von Pierce und seiner Band. Die Melancholie und das Leid haften an Jasons Seele. Wer an Liebeskummer erkrankt, rettet sich in oder mit der Musik. "I will love you 'til I die. And I will love you all the time. So please put your sweet hand in mine. And float in space. And drift in time." So verarbeitet auch Mr. Pierce seinen Verlust und seine Ängste. Und diese Rock-Pille wirkt wie wahre Medizin: "I think I'm in love, probably just hungry. I think I'm your friend, probably just lonely" ("I Think I'm In Love").
Krachende Noise-Bretter treffen auf wunderschöne Popmelodien ("All Of My Thoughts"), Gospelchöre, wie in "Come Together" sorgen für Harmonie nach anhaltender Rückkopplung. Man muss nicht religiös sein, um die Anziehungskraft dieser Chöre zu spüren. Die Beschallung von "Ladies And Gentlemen We're Floating In Space" dauert 70 Minuten lang und da ist keine Sekunde zu viel. Man schwebt förmlich in diesem Instrumental-Monster und fühlt sich einfach nur 'Lost in Pierce'.
Jason Spaceman taumelt zwischen Sucht und Verzweiflung, Liebe, Hass und Isolation und dichtet herzergreifende Zeilen, die vor allem die Trennung von Keyboarderin Kate Radley (die 1995 Richard Ashcroft heiratet) beschreiben. Ein psychedelischer Einblick in das Seelenlebens eines genialen Musikers. Radley war noch bis 1997 Teil der Band, aber nicht mehr seines Lebens.
Somit ist einer der emotionalsten Momente auf dieser Platte mit "Broken Heart" erreicht. Selten klingt ein Song so verletzlich, traurig und wütend zugleich. Verliert man eine wichtige Person in seinem Leben, dann kann man an diesem Stück erst mal zerbrechen, sich aber gleichzeitig auch daran festhalten. Das Orchester-Arrangement mit den Streichern und Jasons trauriger Stimme sind voller Sehnsucht, aber niemals versumpft der Mann in Selbstmitleid. Die Zeile "I'm too busy to be heartbroken" bedarf keiner weiteren Erklärungen mehr.
Elektrisierende Gitarren und gefühlvoller Gesang, wunderbare Kontraste, die stets miteinander harmonieren ("Electricity"). Eine instrumentale Soundklatsche mit Bläsern ist "No God Only Religion", wie frisch aus den 70ern entnommen. Spiritualized hätten schon damals neben Pink Floyd in die englische Psychedelic-Rock-Bewegung eintreten können. Jeder Song trifft Herz und Seele. In "Cool Waves" berührt nicht nur der Gospel, auch die Streicher-Arrangements sorgen für die emotionale Stimmung.
Jason Pierce hört zu Hause gerne Jazz. Das hört man spätestens im großen Finale. In "Cop Shoot Cop" vereinen Spiritualized noch mal alle Klang-Dimensionen und Gefühls-Dramen zwischen Liebe und Abhängigkeit. "Hey man there's a hole in my arm where all the money goes". Eine 17-minutenlange Blues und Noise-Session mit Gastmusiker Dr. John am Klavier: Live auf der Bühne muss einen diese Song-Gewalt einfach nur wegblasen.
Mr. Pierce hat die chaotische Beziehung zu seiner Ex-Keyboarderin einigermaßen überstanden, lebt scheinbar drogenfrei, wechselt immer wieder seine Bandmitglieder, steht immer noch gerne im Studio, aber vor allem auch auf der Bühne. 2018 bespielen Spiritualized mit großem Orchester das Primavera Sound Festival. Die Koffer sind schon gepackt! Und dann erwartet uns ja wohl noch ein neues Album. Das Pierce-Kapitel ist also noch lange nicht zu Ende geschrieben.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit einer Antwort
Unglaubliches Album aus der musikalischen Postmoderne, das zwischen Welten wandelt. Wenige Alben decken so ein breites Spektrum an Genres, Stimmungen und Emotionen ab und dabei ist "Ladies and Gentlemen..." vom Inhalt bis zur Verpackung ein Gesamtkunstwerk.
PS: Wo der Name Dr. John schon mal gefallen ist, wäre vielleicht sein Meisterwerk "Gris-Gris" mal ein Kandidat für die Meilensteine.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Das ist tatsächlich ein absolut überfälliger Stein.
Spiritualized mochte ich schon immer, aber an die Magie von Spacemen 3 kam das Projekt für mich nicht mehr heran.
Schon eher ein Felsbrocken.Haben uns früher nie einigen können,ob nun Spacemen3 `besser`war.Jedenfalls mehr als verdient.Sah sie seinerzeit aufm Roskilde(auf dem auch Cure war,was Zeiten) und habe geschwebt...