laut.de-Kritik

Eichhörnchen auf Acid werden diese Songs lieben.

Review von

Alben ohne vorherige Ankündigung nicht zum Streaming zur Verfügung zu stellen und auch digital nur einen Kauf zuzulassen, ist kommerzielles Harakiri, das man sich erstmal leisten können muss; vor allem, wenn man das Album über einen Link im Newsletter von Warp Records ankündigte, der zu einem WAV-File führte, der den Albumtitel nur über ein O-Scope offenbarte (wtf!). Squarepusher kann das anscheinend, drei Jahrzehnten Output und einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Musik sei Dank. Bis zuletzt war unklar, ob das Album nicht doch auf Streaming-Portalen erscheint, was nach jüngsten Aussagen des Künstlers aber für die nähere Zukunft unwahrscheinlich bleibt.

Bei einem 49-Jährigen wollen wir nicht von Spätwerk sprechen, doch nahm der Engländer sich für "Dostrotime" immerhin vier Jahre Zeit nach dem guten, aber für seine Verhältnisse wenig einflussreichen "Be Up A Hello". Schnell wird aber klar, dass "Dostrotime" für einen Künstler, der zu früheren Alben ganze Instrumente selbst entwickelte und wohl wie wenig andere über technische Fertigkeiten auch in der Beherrschung analoger Synthesizer verfügt, keinen Bruch sucht. Man findet sich schnell wieder auf dem Album als Squarepusher-Fan. Nun ist Stillstand Tod und man wird den Eindruck nicht ganz los, dass Jenkinson auf manchen Tracks Opfer seiner eigenen Fähigkeiten wurde.

"Wendorlan" beginnt als nachvollziehbarer, mechanischer Track, wird dann aber dermaßen von komplexen Mustern zerschossen, dass der entstehende Clusterfuck schlicht schwer genießbar ist. In der Entstehung war das sicherlich unfassbar schwierig, und reproduzierbar ist es für den Normalsterblichen schon mal gar nicht, aber Spaß macht es halt auch kaum. Dabei geht der Musiker nicht immer Vollstoff, es sind weniger die fehlenden Atempausen und der Mangel an Struktur, die diesen Song so schwer genießbar machen, sondern die Art und Weise, wie die Muster sich abwechseln. Mit wenigen anderen Handgriffen hätte hier etwas immer noch sehr Anspruchsvolles, aber Schönes entstehen können: Squarepusher entschied sich anders. Und das tut er auf "Stromcor" auch; es ist die Schattenseite eines Musikers, der mit Melodien schon lange auf Kriegsfuß steht, der aber durch Komposition und Progression meist in der Lage war, einen Song zusammenzuhalten. "Stromcor" oder auch "Kronmec" geraten hingegen zur nur technisch eindrucksvollen Bass-Sounddemo. "Holorform" findet seine Form zu spät im Track und beendet sie mitten im Aufbau

Das ist Jammern auf hohem Niveau: Ganze Generationen zukünftiger Post-Chillwaver werden "Heliobat (Tokyo Nightfall)" zitieren, das gilt für "Heliobat" nicht weniger, dessen sakral-rituelle Schwere sehr aktuell wirkt in Verbindung mit der immer mehr durchbrechenden Neoklassik-Szene. Und es gibt die Squrepusher-Songs, die einfach funktionieren, in denen Jenkinsons Bassspiel über einem in Strom umgewandelten und via diversen Roland-Maschinen durch einen Drill'n'Bass-Filter gejagten Jazz-Quintett die Magie entfalten, für die er bekannt ist, weil sie eine hypnotische Kraft entfalten, die objektiv schwierig zu bestimmen, subjektiv aber wirkmächtig ist.

"Domelash" beginnt ruhig und hält den eignen Spannungsbogen nicht ohne Mühe, aber dieses Tanzen auf der Abbruchkante gibt Faszination - wenn sie gelingt. "Akkranen" schleicht sich an wie ein verwundeter Wolf, verliert dabei die grundsätzliche Songidee aber nicht aus den Augen. Eichhörnchen auf Acid werden "Duneray" lieben, in Musik gegossenes ADHS. Und "Enbounce" macht schlicht Spaß, ohne nicht wie ein Squarepusher-Song zu wirken - das ist also auch möglich und kluge DJs werden dieses dankbare Ding ab jetzt in ihre Playlists einarbeiten.

Interessante Gegenpunkte setzt "Dostrotime" mit den drei durchnummerierten akustischen "Arkteon"-Gitarrensongs. Dass Jenkinson Saiteninstrumente virtuos beherrscht, ist keine Neuigkeit, und alle drei Tracks setzen mit ihrer Harmonie dem Rest des Albums etwas Sinnvolles entgegen und bieten in der Gesamtkomposition einen Mehrwert. Für sich genommen kommen sie über eine ästhetische Schönheit aber nicht hinaus. Es erinnert an einen John Frusciante, gleichfalls offenkundig ein Genie, der auch nach Jahren Einarbeitung ins elektronische Fach nur "Gutes", nie aber "Spektakuläres" in dem ihm nicht mit der Muttermilch gegebenen Genre anbieten konnte. Das sollte ihn aber nicht daran hindern, nach dem innerhalb seines Oeuvres eher konservativem "Dostrotime" entschlossen neue Pfade zu beschreiten.

Trackliste

  1. 1. Arkteon 1
  2. 2. Enbounce
  3. 3. Wendorlan
  4. 4. Duneray
  5. 5. Kronmec
  6. 6. Arkteon 2
  7. 7. Holorform
  8. 8. Akkranen
  9. 9. Stromcor
  10. 10. Domelash
  11. 11. Heliobat
  12. 12. Arkteon 3
  13. 13. Heliobat (Tokyo Nightfall)

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