laut.de-Kritik

Das dürfte nicht nur "New Moon"-Fans gefallen.

Review von

Annie Clark aka St. Vincent gehört zu den Künstlerinnen, die ihre Kreativität dem Twilight-Publikum zum Fraße vorwarfen. Gemeinsam mit Justin Vernon (Bon Iver) verzückte sie in "New Moon" schmachtende Teenies: "Strange Mercy" dürfte dennoch auch andere Zielgruppen begeistern.

Denn sie kann weitaus mehr, als an der Seite Vernons in hohen Frequenzen trällern. Annie entpuppt sich als kreative Songwriterin, die zwischen elektronischen Spielereien, flirrendem Indierock und verschrobenem Pop agiert.

So spinnt schon der Opener "Chloe In The Afternoon" wunderbar zwischen schrillen Synthiesounds und herrlich übersteuerter Hookline herum. Dazu huschen Clarks Melodien erschrocken durch die Strophen, bis sie sich gen Ende im einem überlagerten Vocalwahnsinn wiederfindet.

Annie klingt, als hätte sie einige ihrer Kolleginnen in einen Rauschzustand versetzt und dann "Strange Mercy" eingespielt. So erkennt man mal eine Roisin Murphy auf bewusstseinserweiternder Droge, wenn Clark mit entzückender Stimme ihre Zeilen zwitschert und sich die Instrumentierung in psychedelischen Animal Collective-Sphären austobt ("Surgeon").

Ein anderes Mal rotzt sie minimalistischen Indierock aus den Boxen. Würde man Alison Mosshart hypnotisieren und ans Mikro bugsieren: "Northern Light", "Cheerleader" und "Year Of The Tiger" wären denkbare Ergebnisse.

Aber sie kann auch ganz sanft und verletzlich, wenn sie die aufgeregte, übersteuerte St. Vincent hinter sich lässt und zur verletzlichen Annie Clark wird. So passiert es in "Strange Mercy". Hier unterbricht sie ihr Prinzip, fließenden Gesang und langgezogene Silben gegen die knackig bratzigen Hooklines antreten zu lassen ("Cruel", Hysterical Strength").

St. Vincents Drittling bietet ein wahres Kaleidoskop an Songs und Stimmungen: Eine kleine Bewegung reicht aus, um Farbe und Form zu verändern und aufs Neue in Staunen zu versetzen. Nur verhält es sich mit "Strange Mercy" auch in einem anderen Aspekt ähnlich wie bei einem Kaleidoskop: Man kann sich nicht ewig daran erfreuen. Keiner kann das gleiche Kaleidoskop fünfzig Mal mit derselben Begeisterung in den Händen drehen.

Und so bleibt "Strange Mercy" am Ende eher ein kurzfristiges Vergnügen als ein Lieblingsalbum auf Dauer.

Trackliste

  1. 1. Chloe In The Afternoon
  2. 2. Cruel
  3. 3. Cheerleader
  4. 4. Surgeon
  5. 5. Northern Lights
  6. 6. Strange Mercy
  7. 7. Neutered Fruit
  8. 8. Champagne Year
  9. 9. Dilettante
  10. 10. Hysterical Strength
  11. 11. Year Of The Tiger

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