laut.de-Kritik
Schönheit in schmalzigem Schwulst.
Review von Sven KabelitzDem Engelsgesicht dürstet es nach Nostalgie. Nach einer Zeit voller Jukeboxen, Popcorn, Pomade, Autokinos und Im-Auto-Fummeln. Für sein Debüt "Angel Face" taucht der gerade einmal zwanzigjährige Stephen Sanchez tief in die frühen 1960er ein. Er zelebriert die Erinnerung an eine Zeit, die immer weniger Menschen wirklich miterlebt haben. Die Illusion einer Epoche, von der mehr und mehr nur ein romantisiertes Abziehbild bleibt.
Auf seinen ersten beiden EPs "What Was, Not Now" (2021) und "Easy On My Eyes" (2022) zeigte er sich noch weitestgehend als ein von seiner akustischen Klampfe begleiteter Singer/Songwriter. Den großen Umbruch brachte der Erfolg des letzten Stücks auf "Easy On My Eyes". "Until I Found You" entwickelte sich langsam zum TikTok-Hit, unterlegte unzählige gefühlsduselige Clips. Bei Spotify wurde der Song in seinen unterschiedlichen Versionen mittlerweile über 1,5 Milliarden Mal gestreamt.
"Angel Face" greift nun diesen Erfolg auf ganzer Albumlänge auf. Sanchez klingt mit seiner eindrucksvollen Stimme wie eine Mischung aus Roy Orbison, Chris Isaak und den Arctic Monkeys. Er wagt sich dabei aus der Masse gerade so weit hervor, um mit seinem Auftreten und Sound einen Wiedererkennungswert zu erhalten. Aufgrund des Settings fällt dieser Schritt aber so brav aus, dass er nicht Gefahr läuft, damit am Ende noch jemanden zu verschrecken. Wie weit Sanchez wirklich hinter Klang und Ästhetik der Ära steht, oder ob er diese nur wegen des "Until I Found You"-Erfolgs nun so radikal einschlägt, bleibt bis zum nächsten Album vorerst offen.
Um dem Longplayer etwas Würze hinzuzufügen, folgen wir auf dem Konzeptalbum der Geschichte des Troubadours Sanchez, der in den 1950ern mit "Until I Found You" seinen größten Erfolg feierte. Der liegt nun aber viele Jahre zurück, und er selbst findet sich in einer unglücklichen Beziehung zu seiner Geliebten Evangeline wieder, der Freundin des Mafia-Bosses Hunter. Letztendlich muss er seine Liebe mit dem Leben bezahlen.
Im Mittelpunkt stehen gefühlvolle Balladen, die gut drei Viertel des Albums ausmachen. Wie der traumhafte Opener und gleichzeitige Höhepunkt "Something About Her". Schwerelos, fast beiläufig schwebt Sanchez' gefühlvolles Vibrato über zarte Klaviertöne.
Der erste Versuch, dieses Schema mit einem Motown-ähnlichen Stück zu verlassen, scheitert in "Only Girl" kläglich. Mit blassem Falsetto springt er durch die Nummer wie durch eine Hüpfburg. Im klassischen Rock'n'Roll von "Shake" schlägt Sanchez sich als etwas zu sehr im Hall versunkener Elvis Presley gut. Die Formelhaftigkeit des Stücks und die große Ähnlichkeit zu "A Big Hunk O' Love" schädigen aber den ansonsten guten Eindruck.
In "High" gibt Sanchez den Alex Turner, das Duett "No One Knows" führt ihn mit der hier so elegant klingenden Laufey zusammen. Der dramatische "Death Of The Troubadour"-Western soll das Drama mit seinem Tod beenden, bleibt aber blass. Irgendwo zwischen Brian Hylands "Sealed With A Kiss" und The Righteous Brothers verortet, sendet "Send My Heart With A Kiss" dem Album ein gelungenes Echo hinterher.
In Stephen Sanchez' schmalzigem Schwulst steckt Schönheit, doch mangelt es "Angel Eyes" an mehr Abwechslung und Mut. Zu sehr verliert sich der junge Crooner in den Melodien der späten 1950ern, der frühen 1960ern und in seiner traurigen Geschichte. Zu wenig wagt er sich weg von seinem Erfolgsrezept, fügt den Vorlagen eigene Ideen hinzu. Letztendlich bleibt ein solides Debüt, dem es aber an fesselnden Ideen fehlt.
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